Der hl. Franz v. Sales in "Philotea"
über die Wichtigkeit des Zusammenhanges
der Reinigung der Seele
mit
der Notwendigkeit auch der Reinigung von der Anhänglichkeit an die Sünde:
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Eine Seele, die nach der Ehre einer Braut des Gottessohnes strebt,
muss den alten Menschen ablegen und den neuen anziehen (Eph 4,22ff).
Sie muss sich von der Sünde abkehren, alles entfernen und herausschneiden,
was der Gottesliebe hinderlich und schädlich ist.
Sind wir von den unreinen Säften gereinigt,
so ist dies der Anfang unserer Genesung.
Der hl. Paulus wurde in einem Augenblick und vollständig geläutert;
ebenso die hl. Katharina von Genua, Magdalena, Pelagia und einige andere.
Eine derart plötzliche Läuterung ist ein Wunder und in der Gnadenordnung so außergewöhnlich,
wie etwa die Erweckung eines Toten in der Ordnung der Natur;
wir dürfen sie also nicht anstreben.
Gewöhnlich geschieht die Genesung des Leibes wie der Seele nur allmählich,
Schritt für Schritt, von Stufe zu Stufe, mit großem Aufwand an Mühe und Zeit.
Die Engel auf der Jakobsleiter haben Flügel, sie fliegen aber nicht,
sondern steigen die Stufen auf und ab, eine nach der anderen.
Eine Seele, die von der Sünde zur Frömmigkeit emporsteigt,
wird mit der Morgenröte verglichen (Spr 4,18), die nicht plötzlich,
sondern nur allmählich die Finsternis vertreibt.
Eine Heilung, die nur langsam vor sich geht, bezeichnet der Volksmund als die sicherste.
Die Krankheiten der Seele wie des Leibes kommen wie zu Pferd im Galopp,
ziehen aber zu Fuß und im Schritt ab.
Bei diesem Beginnen musst du also Mut und Geduld haben.
Wie bedauernswert sind doch Menschen,
die nach anfänglichem Bemühen um die Frömmigkeit merken,
dass sie noch mit verschiedenen Unvollkommenheiten behaftet sind,
darüber unruhig, verwirrt und mutlos werden und nahe daran sind,
alles aufzugeben und sich wieder der Sünde zu überlassen!
Andererseits ist für manche Menschen eine entgegengesetzte Versuchung gefährlich;
sie reden sich selbst ein,
dass sie schon vom ersten Tag an von allen Unvollkommenheiten frei seien;
sie glauben fertig zu sein, ehe sie richtig angefangen haben;
sie setzen zum Flug an, bevor ihnen Flügel gewachsen sind.
In welcher Gefahr eines Rückfalls schweben doch solche Menschen,
weil sie sich zu früh den Händen des Arztes entzogen haben!
„Steh nicht auf, bevor es Tag geworden“, sagt der Prophet;
„steh erst auf, nachdem du ausgeruht“ (Ps 127,2). Er hielt sich selbst daran;
da er schon gewaschen und gereinigt war,
betete er darum, es noch mehr zu werden (Ps 51,4).
[...]
Der erste Beweggrund für diese zweite Reinigung ist die lebendige
und starke Überzeugung,
dass die Sünde ein großes Übel ist,
und eine tiefe, aufrichtige Reue als Folge dieser Erkenntnis.
Ist diese Reue echt,
so reinigt sie uns in Verbindung mit der Kraft des Sakramentes von der Sünde,
selbst wenn sie nicht sehr tief wäre.
Ist sie aber stark und lebendig,
dann befreit sie uns außerdem von jeder Anhänglichkeit an die Sünde.
Ein schwacher Hass, eine bloße Abneigung bewirkt,
dass man den Gegenstand des Hasses nicht leiden kann und seine Gesellschaft meidet.
Ein leidenschaftlicher, tödlicher Hass dagegen lässt uns nicht nur jenen meiden und verabscheuen, den man hasst;
vielmehr fliehen wir auch den Verkehr mit seinen Verwandten und Freunden,
ja wir verabscheuen sogar sein Bild und alles, was mit ihm zu tun hat.
Wer die Sünde mit einer zwar echten aber schwachen Reue hasst,
ist wohl entschlossen, nicht mehr zu sündigen;
hasst er sie aber mit einer starken, tiefen Reue,
dann verabscheut er nicht nur die Sünde selbst,
sondern auch jede Anhänglichkeit an sie und alles,
was mit ihr zusammenhängt und zu ihr führt.
Die Reue muss uns daher so tief und so stark erfassen,
dass sie sich auch auf das geringste erstreckt,
was mit der Sünde zusammenhängt.
So verlor Magdalena so völlig den Geschmack an der Sünde und ihren Freuden,
dass sie nie mehr daran dachte.
David beteuert, dass er nicht nur die Sünde hasste, sondern alle ihre Spuren und Pfade (Ps 119,104.128).
Darin besteht die Erneuerung der Seele,
die dieser Prophet mit der Wiedergeburt des Adlers vergleicht (Ps 103,5).
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