Die Schmach von Hessen
Gedicht von Ernst Scherenberg
Zehn Jahre bald! – an Deutschlands Himmel
Verglomm der letzten Sterne Pracht, --
Auf die vom Kampfe müden Geister
Sank wieder bleiern rings die Nacht; -
Da unter’m nächt’gen Fittig wälzte
Auf die verratene Nation
Von Deutschlands Höhen, als Lawine,
Vernichtend sich die Reaktion;
Und brach in Trümmer auch den Hessen
Recht und Gesetz, die sie besessen.
Ob auch manch‘ düstern Schatten wieder
Der Freiheit heil’ges Licht vertrieb –
Ein neuer Morgen fernher dämmert –
Der Schatten von Kurhessen blieb!
Noch liegt es unter’m alten Drucke,
Durch den es einst sein Recht verlor,
Wie’s ein Jahrzehnt geseufzt – gefordert,
Klagt es auch heut noch taubem Ohr! –
Und Deutschlands Volk kann nicht vergessen
Die Schmach, die man ihn tat in Hessen!
Nun aber drängt’s, die Schuld zu sühnen!
Des feigen Zauderns sei’s genug!
Die Fessel nehmt von einem Lande,
Das sie, wie kleines, mutig trug!
Die alten Rechte gebt ihm wieder,
Die freche Willkür einst geraubt,
Und nehmt die Sorge, bang und drückend,
Von jedes deutschen Mannes Haupt! –
O Deutschlands Fürsten, macht vergessen
Dem deutschen Volk die Schmach von Hessen!
Die Zeit ist ernst! im Drang des Werdens!
Weh, wer verblendet rückwärts sieht!
Ein Geist der Rache und Vergeltung
Durch unsre Tage grollend zieht! –
Und Niemand weiß, wie bald von Neuem
Der Sturm von Land zu Lande weht:
Nur was auf Recht und Freiheit fußte,
Dann fest und unerschüttert steht! –
O Deutschlands Fürsten, macht vergessen
Dem deutschen Volk die Schmach von Hessen!
Ernst Scherenberg, 1860