Der geistliche und der lebendige Rosenkranz
Die reichen Griechen und Römer des Altertums verordneten in ihren Testamenten häufig die Anlage von Gärten, worin nur Rosen gepflanzt werden durften, um alljährlich an ihrem Sterbetage die sogenannten Rosenfeste, rosalia, zu feiern. An solchem Tage, dies rosationis, Tag der Rosenbekränzung genannt, kamen die Freunde und Erben des Verstorbenen zusammen, um sich und das Grab mit Rosen aus dem Rosengarten zu bekränzen und dann, mitten unter Rosen, zu Ehren des teuren Toten an seinem Grabe ein Gastmahl zu feiern, wobei jedesmal seines Lebens, seiner Taten und Tugenden liebend gedacht wurde. Manchmal war es nicht bloß der Todestag, sondern auch ein anderes Ereignis im Leben, zu dessen Erinnerung alljährlich ein Rosenfest gefeiert wurde. So warf ein hochgestellter Soldat in seinem Testament eine große Summe Geldes aus, mit der Verfügung, daß alljährlich zur Feier seiner glücklichen Rückkehr aus einem Feldzug eine gewisse Anzahl Rosenstöcke gepflanzt wurde. –
Außer Jesus, unserm lieben Heiland, aber ist uns niemand so teuer als Maria, seine jungfräuliche Mutter. Wenn also die alten Heiden die Gedächtnistage ihrer teuren Toten mit Rosen und Rosenkränzen feierten, da haben wir Christen gewiß noch besseren Grund, die Feste der Gottesmutter mit Rosenkränzen zu feiern. Wirkliche Rosenkränze aber, von Rosenstöcken gepflanzt und gewunden, mögen ihre Altäre und Bildnisse zieren, ihr selbst jedoch sind Rosenkränze aus geistlichen Rosen aus Tugenden und Verdiensten, vorab aus Erinnerungen aus dem Leben, Leiden und Sterben ihres göttlichen Sohnes gewunden, die liebsten Kränze. Wenn wir also an den Festtagen zusammen kommen und der Gottesmutter zu Ehren, uns aber zum Trost, alle großen, heiligen Erinnerungen aus dem Leben, Leiden und Sterben Jesu, aus der Zeit seiner Erniedrigung und seiner Erhöhung, in schöne Ordnung zusammen stellen und daraus geistliche Rosenkränze bilden, so verwandeln wir dadurch jedes Fest in ein Rosenfest, in einen Tag der Rosenbekränzung – der lieben Mutter Gottes zur Ehre, ihrem göttlichen Sohn zur Freude, uns aber zum Heil.
Außer dem geistlichen Rosenkranz aber, den wir aus den Geheimnissen der Erlösung und den bekannten Gebeten bilden, gibt es noch einen andern Rosenkranz, der der lieben Gottesmutter ebenfalls große Freude macht, es ist so recht eigentlich der lebendige Rosenkranz, bestehend aus den Betern selbst. Auf einer Reise durch ihr Land wurde der heiligen Königin Elisabeth von Portugal in einer Stadt einmal ein glänzender Empfang bereitet. Auch ein Trüpplein armer Waisenkinder fand sich ein, um der Königin Blumensträuße zu überreichen und Sprüchlein aufzusagen. Aber gerade zu diesen verlassenen Kleinen in ihrer Unschuld und ihrem Wetteifer, ihr Freude zu machen, fühlte sich die heilige Königin am meisten hingezogen. Darum sagte sie, auf die Kinder deutend: „Sie selbst sind mir die liebsten Blumen!“ An königlicher Großmut und Herablassung, an mütterlicher Liebe ist aber die Königin des Himmels der Königin von Portugal weit voraus, so groß und heilig diese königliche Friedensstifterin auch ist. Wenn sie also ein Trüpplein frommer Kinder oder eine Schar armer Sünder den Rosenkranz beten und ihr wie einen Blumenstrauß darbringen sieht, so mag es wohl geschehen, daß die Gottesmutter, auf die Beter deutend, ausruft: „Das ist mir der liebste Rosenkranz!“ –
aus: Philipp Hammer, Der Rosenkranz, eine Fundgrube für Prediger und Katecheten, ein Erbauungsbuch für katholische Christen, I. Band, 1896, S. 7-9
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Liebe Grüße, Blasius