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Über die Buße (De paenitentia)
Ambrosius von Mailand (340-397)
Über die Buße
(De paenitentia)
Erstes Buch
Cap. 1 [S. 231]
Wenn das letzte und höchste Ziel aller Tugend dahin geht, dem geistigen Nutzen des Nebenmenschen in möglichster Ausdehnung zu dienen, so darf man als eine der schönsten Tugenden das milde Maßhalten bezeichnen, welches nicht einmal diejenigen verletzen will, die seiner Verurteilung unterliegen, während es dieselben gleichzeitig gerade durch die Verurteilung wieder der Lossprechung würdig zu machen strebt. Diese Milde ist es einzig, welcher die Kirche, die der Herr in seinem Blute gestiftet hat, ihre Ausbreitung verdankt. Sie ahmt den himmlischen Wohlthäter nach; indem sie auf die Rettung Aller bedacht ist, verfolgt sie jenes heilbringende Ziel mit einer Milde, daß die Herzen nicht zurückweichen, die Geister nicht erschrecken können.
In der That muß ja auch derjenige, welcher die Fehler menschlicher Schwäche bessern will, diese Schwäche selbst ertragen; er muß sie gewissermaßen auf seine Schultern legen, nicht aber verdrießlich abwerfen. Lesen wir doch auch, daß jener Hirt des Evangeliums das verirrte, müde Schaf heimgetragen, aber nicht abgeworfen habe. Darum [S. 232] sagt auch Salomon: „Sei nicht allzu gerecht“, 1 denn weises Maßhalten muß die Gerechtigkeit sänftigen. Wie möchte ich sonst Jemand dir zur Heilung anvertrauen, wenn du ihm Widerwillen entgegenbringst, wenn er glauben muß, daß er seinem Arzte nicht Mitleid, sondern Verachtung einflößt?
Deßhalb hat der Herr Jesus Mitleid mit uns getragen, um uns nicht abzuschrecken, sondern zu sich zu rufen. Er kam voll Sanftmuth und Demuth, und so sprach er: „Kommet zu mir Alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.“ Der Herr Jesus erquickt die Mühseligen, er weis’t sie nicht zurück; darum hat er denn auch solche Jünger sich erwählt, die im richtigen Verständnisse seines göttlichen Willens das Volk Gottes sammeln, aber nicht zurückstoßen. Es erhellt somit, daß diejenigen nicht als Christi Jünger gelten können, welche der Meinung sind, daß man harten und stolzen Grundsätzen statt milder und demüthiger folgen müsse. Sie verweigern ja Anderen die Barmherzigkeit des Herrn, während sie selbst sie suchen: so sind die Lehrer der Novatianer, welche sich als „die Reinen“ bezeichnen. 2 Kann es denn ein stolzeres Treiben geben, da doch die Schrift sagt: „Niemand ist rein von Schuld, nicht einmal das Kind von einem einzigen Tage;“ 3 während David [S. 233] ausruft: „Von meiner Missethat reinige mich!“ Sind denn diese Menschen etwa heiliger als David, aus dessen Geschlecht der Herr im Geheimnis der Menschwerdung hat wollen geboren werden? dessen Tochter jenes himmlische auserwählte Gefäß ist, das im jungfräulichen Schooße den Heiland der Welt empfangen hat? Gibt es denn etwas Härteres, als Buße aufzulegen, ohne Nachlaß zu gewähren? Nimmt man denn nicht den Antrieb zur Buße hinweg, wenn man immerfort die Verzeihung versagt? Kann doch füglich keiner Buße thun, der nicht auf Verzeihung hofft!
http://www.unifr.ch/bkv/kapitel2818.htm
Ambrosius von Mailand (340-397) - Über die Buße (De paenitentia)
Erstes Buch
Cap. 2
Diese Irrlehrer bestreiten, daß diejenigen zur kirchlichen Gemeinschaft wieder dürfen zugelassen werden, welche durch Verleugnung ihres Glaubens gefallen sind. Wenn sie lediglich das Verbrechen des Sacrilegiums ausnähmen und ihm die Verzeihung versagten, so wäre das zwar hart und würde auch durch göttliche Aussprüche als durchaus falsch verworfen: es stimmte aber doch wenigstens mit ihren eigenen sonstigen Behauptungen überein. Der Herr, welcher alle Sünden vergeben hat, nahm kein Verbrechen aus. Da Jene aber nach Art der Stoiker annehmen, daß also Jemand, der einen Haushahn, ebenso wie derjenige, welcher seinen Vater erdrosselt, für immer von den heiligen Geheimnissen fern zu halten sei: wie greifen sie jetzt ein einziges Verbrechen heraus, während sie doch selbst nicht leugnen können, daß es geradezu unerträglich sein würde, wenn die Strafe einiger weniger – der Abgefallenen nämlich – auf Viele sich ausdehnte?
Sie sagen freilich, daß sie dem Herrn eine ganz besondere Verehrung entgegenbringen, wenn sie ihm ausschließlich [S. 234] die Macht, Sünden zu vergeben, vorbehalten. In Wirklichkeit kann aber Niemand Gott größere Schmach anthun, als derjenige, welcher Gottes Aufträge einschränken und das von ihm übertragene Amt wirkungslos machen möchte. Wenn der Herr Jesus selbst gesagt hat: „Empfanget den heiligen Geist; denen ihr die Sünden erlasset, denen sind sie erlassen; denen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten;“ wer ehrt ihn dann mehr: derjenige, welcher seinen Weisungen Folge leistet, oder derjenige, welcher sich denselben widersetzt?
Die Kirche übt nach beiden Seiten den rechten Gehorsam, sowohl wenn sie bindet, als wenn sie löset. Der Irrthum dagegen zeigt sich in dem einen Falle hart, in dem anderen ungehorsam: er will binden, was er nicht lösen mag; er will nicht lösen, was er gebunden hat, und so richtet er sich durch seinen eigenen Urtheilsspruch. Der Herr wollte, daß das Recht zu lösen und zu binden neben einander bestehe, und darum hat er beides unter der gleichen Voraussetzung der Gegenseitigkeit verliehen. Wer darnach nicht das Recht hat, zu lösen, der hat auch nicht das Recht, zu binden. So erstickt denn die Lehre jener Irrlehrer sich in sich selbst: da sie sich das Recht zu lösen absprechen, so müssen sie sich auch das Recht zu binden versagen. Oder wie kann das Eine ihnen gestattet, das Andere verwehrt sein? Es ist doch unzweifelhaft sicher, daß denjenigen, welchen Beides übertragen wurde, entweder beides oder keines zusteht. So ist es: der Kirche steht beides, dem Irrthum steht keines zu, weil das Recht einzig den Priestern verliehen wurde. Die Kirche nimmt darnach mit Recht beides für sich in Anspruch, weil sie wahre Priester hat: der Irrthum, der keine Priester Gottes hat, 1 kann Nichts beanspruchen. [S. 235] Gerade dadurch, daß er keine von beiden Vollmachen beansprucht, bekennt er aber von sich selbst, daß er eben, weil er keine Priester hat, auch nicht berechtigt ist, ein priesterliches Amt für sich zu beanspruchen. So tritt uns in schamloser Verstocktheit ein rechtes schämiges Bekenntnis entgegen.
Dabei ist noch besonders zu beachten, daß derjenige, welcher den heiligen Geist empfing, auch die Vollmacht erhielt, Sünden zu vergeben und zu behalten. So sprach der Herr: „Empfanget den heiligen Geist; denen ihr die Sünden nachlasset, denen sind sie nachgelassen; denen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.“ Wer also die Lösegewalt nicht besitzt, der hat auch den heiligen Geist nicht. Das Amt des Priesters ist eine Gabe des heiligen Geistes, und dessen Recht besteht gerade im Nachlassen oder Behalten der Sünden: wie können nun diejenigen die Gabe des heiligen Geistes beanspruchen, die dem Rechte und der Macht desselben mißtrauen?
Kann es denn nun anmaßendere Menschen geben? Obwohl der Geist Gottes geneigter zum Erbarmen als zum Strafen ist, wollen sie doch das nicht, was er nach seinem eigenen Worte will, während sie das, was er nicht will, thun. Und doch ist es Sache der Gerechtigkeit, zu strafen, während der Barmherzigkeit Verzeihen geziemt. Immerhin also, Novatian, wäre es erträglicher, wenn du statt der Binde- und Lösegewalt dir beilegtest: einmal würde die Anmaßung und die Folge dessen das Vergehen geringer sein, zum Anderen wäre zu beachten, daß du eben durch Mitleiden mit der Niederlage des Sünders dich zur Gewährung der Verzeihung hättest bestimmen lassen. 2
1: Die Annahme, daß die Priester der Novatianer nicht wahre Priester seien, kann in der oben gegebenen Verbindung nur mit Rücksicht auf die mangelnde Jurisdiction eine gewisse Berechtigung beanspruchen, da der achte Nicänische Canon ausdrücklich die Priester der Novatianer, ebenso wie die Meletianischen Priester, als richtig geweiht, anerkennt.
2: Wörtlich läßt dieser Satz des Textes sich nicht wiedergeben; wir glauben aber den Sinn in möglichst engem Anschlusse an die Worte getroffen zu haben: „Tolerabilius igitur, Novatiane, remitteres quam ligares; alius enim quasi delinquendi parcus usurpares, aliud quasi aerumnae compassus ignosceres.“
Ambrosius von Mailand (340-397) - Über die Buße (De paenitentia)
Erstes Buch
Cap. 3 [S. 236]
Die Novatianer sagen nun, daß sie, mit Ausschluß freilich der schwereren Verbrechen, den leichteren Verzeihung gewähren. In diesem Punkte kann aber Novatian, der bekanntlich annahm, daß Niemand zur Bußübung zuzulassen sei, nicht als Urheber des Irrthums gelten, antworte ich ihnen. Er ging von der Betrachtung aus, daß er da nicht binden dürfe, wo er nicht lösen könne, um es zu vermeiden, daß Jemand eben wegen der Zulassung zur Buße auch die Lossprechung von ihm zu erlangen hoffe. Darin also verurtheilt ihr eueren Vater durch euere eigene Meinung, nach welcher ein Unterschied der Sünden derart zulässig erscheint, daß ihr die einen nachlassen zu dürfen glaubt, während ihr die anderen keines Heilmittels fähig erachtet. Gott aber, der seine Erbarmung Allen erweiset, und der den Priestern die Macht, Sünden nachzulassen, ohne jede Einschränkung gegeben hat. – Gott macht keinen derartigen Unterschied bei den Sünden. Wer freilich die Sünden anhäuft, der muß auch die Buße mehren, und größere Vergehen werden auch durch reichere Ströme der Bußthränen abgewaschen. So findet weder Novatian Bestätigung, der Allen die Verzeihung verschließt; noch findet ihr, die ihr seine Nachfolger und Verurtheiler zugleich seid, Zustimmung: denn ihr vermindert den Bußeifer, wo er müßte vermehrt werden, da Christi Barmherzigkeit es so geordnet hat, daß schwerere Sünden auch härter gebüßt werden.
Was ist das aber doch für eine Verkehrtheit, daß ihr für euch dasjenige herausnehmt, was vergeben, und daß ihr Gott das belasset, was nicht vergeben werden kann? Das heißt ja, für sich die Gegenstände des Erbarmens vorwegnehmen und Gott die Rolle des strengen Bestrafers überlassen. [S. 237] Und wie verhält es sich denn mit jenem Worte der Schrift: „Gott ist wahrhaftig, jeder Mensch aber ein Lügner, wie geschrieben steh: Auf daß du gerecht befunden werdest in deinen Worten und den Sieg erhaltest, wenn du gerichtet wirst?“ 1 Damit wir selbst wohl erkennen, daß Gott mehr zum Erbarmen neigt, als er an der Strenge festhält, hat er gesagt: „Barmherzigkeit will ich lieber als Brandopfer.“ 2 Wie kann denn nun euer Opfer Gott wohlgefällig sein. da ihr seine Barmherzigkeit leugnet; während er doch selbst sagt, daß er nicht den Tod des Sünders, sondern seine Bekehrung wolle?
Der Apostel erklärt uns das: „Gott sandte seinen Sohn in der Aehnlichkeit des Fleisches der Sünde und zwar wegen der Sünde, und so verurtheilte er die Sünde im Fleische, damit die Rechtfertigung des Gesetzes in uns erfüllt würde.“ 3 Er sagt nicht: „in der Aehnlichkeit des Fleisches“, weil Christus die Wirklichkeit, nicht bloß die Aehnlichkeit des menschlichen Fleisches angenommen hat: er sagt auch nicht, „in der Aehnlichkeit der Sünde“, weil der Herr nie eine Sünde begangen hat, sondern zur Sünde für uns geworden ist. Nein, er kam „in der Aehnlichkeit des Fleisches der Sünde“, d.h. er nahm die Aehnlichkeit des sündigen Fleisches an: die „Aehnlichkeit“ aber, weil geschrieben steht: „Es ist ein Mensch, und wer wird ihn erkennen?“ 4 Er war Mensch im Fleische nach Menschenart, [S. 238] so daß er erkannt wurde. Aber er war an Kraft weit über den Menschen hinaus, so daß er nicht erkannt wurde. So hat er also hier unser Fleisch angenommen, aber die Sünden dieses Fleisches hat er nicht angenommen.
Nicht wie jeder andere Mensch ist ja der Herr geworden; nein, er ist geboren vom heiligen Geiste aus der Jungfrau Maria, und so hatte er einen makellosen Leib empfangen, den nie eine Sünde befleckt hat, der auch in seinem Entstehen nicht von der leisesten Makel des Fleisches berührt ist. Alle Menschen werden sonst unter dem Gesetze der Sünde geboren, wie David gesagt hat: „Siehe in Ungerechtigkeit bin ich empfangen, in Sünden hat mich geboren meine Mutter.“ Deshalb spricht Paulus von dem Leibe des Todes, wenn er sagt: „Wer wird mich retten aus dem Leibe dieses Todes?“ Christi schuldloses Fleisch hat also die Sünde verurtheilt, die bei der Geburt ihn nicht berührte, die er sterbend gekreuzigt hat, so daß nun in unserem Fleische die Rechtfertigung durch die Gnade war, während vorher der Augenblick unseres Werdens nicht ohne Schuld war. 5
Was anders sollen wir nun dazu sagen, als was der Apostel gesagt hat: „Wenn Gott für uns ist, wer ist wider uns? Er, der selbst seines eigenen Sohnes nicht geschont, sondern ihn für uns alle dahingegeben hat; wie sollte er uns nicht Alles mit ihm geschenkt haben? Wer wird die Auserwählten Gottes anklagen? Gott, der gerecht macht? Wer wird verurtheilen? Christus Jesus, der gestorben ist, ja, der auch auferstanden ist, der zur rechten Hand Gottes sitzet, der auch fürbittet für uns? 6 Diejenigen, für welche [S. 239] Christus Fürbitte einlegt, klagt also Novatian an. Diejenigen, welche Christus zum Leben erlöst hat, die verurtheilt Novatian zum Tode. Denjenigen, zu welchen Jesus gesagt hat: „Nehmet mein Joch auf euch, und lernet von mir, denn ich bin sanftmüthig“, ruft Novatian zu: „Ich bin ohne Erbarmen, ohne Sanftmuth.“ Denjenigen, zu welchen Christus sagt: „Ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen, denn mein Joch ist sanft und meine Bürde ist leicht“, legt Novatian ein schweres und hartes Joch auf.
1: Röm 3,4.
2: Dse. 6,6.
3: Röm 8,3. Die obige Uebersetzung hat das doppelte verbum finitum nehmen müssen weil das Zitat unvollständig ist: „Nam quod impossibile erat legi, in quo infirmabatur per carnem, Deus filium suum mittens in similitudinem carnis peccati et de peccato, dammavit peccatum in carne“ (scil. Christi). Das „et de peccato“ ist nicht mit Estius zu „damnavit“, sondern zum griechischen Texte: „ ὁ θεὸς πέμψας τὸν ἑαυτοῦ υἱὸν ἐν ὁμοιώματι σαρκὸς ἁμαρτίας καὶ περὶ ἁμαρτίας κατέκρινεν“ … entsprechend zu „mittens“ zu ziehen.
4: Jerem. 17,9. Das Zitat paßt nach den Context freilich gar nicht; es ist ein willkürlich abgerissenes Wort aus der Uebersetzung der LXX: „βαθεῖα ἡ καρδία παρὰ πάντα καὶ ἄνθρωπός ἐστιν καὶ τίς γνώσεται αὐτόν“ Die Unergründlichkeit des menschlichen Herzens und dessen Schwäche soll damit bekundet werden.
5: „Ubi erat ante colluvio per culpam“. Das läßt sich übrigens nicht als so ganz absolut gewiß hinstellen.
6: Röm 8,31 ff.
VORTSETZUNG
Über die Buße (De paenitentia)
Ambrosius von Mailand (340-397) - Über die Buße (De paenitentia)
Erstes Buch
Cap. 4
Obgleich das Gesagte uns schon hinreichend belehrt, wie sehr der Herr Jesus zum Erbarmen geneigt ist, so möge er doch mit jenen Worten uns belehren, mit denen er uns dem Schreckenseindruck der Verfolgung gegenüber unterweisen wollte. „Fürchtet nicht diejenigen,“ sagt er, „welche den Leib tödten, die Seele aber nicht tödten können: fürchtet vielmehr denjenigen, der Leib und Seele zugleich in die Hölle stürzen kann.“ Und weiter: „Jeden, der mich bekennen wird vor den Menschen, den werde auch ich bekennen vor meinem Vater, der im Himmel ist. Wer aber mich vor den Menschen verleugnet hat, den werde auch ich verleugnen vor meinem Vater, der im Himmel ist.“
Wo er sagt: „Ich werde bekennen,“ da tritt er für Alle ein, da umfaßt er Alle; wo er sagt: „Ich werde verleugnen,“ da schließt er nicht Alle ein. Da er zuerst sagt: „Jeden, der mich bekennet, den werde ich bekennen,“ sollte man erwarten, daß er auch ferner sagte: „Jeder, der mich verleugnet.“ Damit es nicht den Anschein gewänne, als meine er auch hier Alle, so fügt er weniger bestimmt hinzu: „Wer aber mich verleugnet, den werde ich verleugnen.“ Die Gnade verspricht er Allen, aber er droht keineswegs Allen die Strafe an. Das Erbarmen dehnt er aus, das Rächen schränkt er ein.
Dabei ist zu bemerken, daß das nicht allein in dem Evangelium des heiligen Matthäus, sondern auch in dem [S. 240] des heiligen Lukas sich aufgezeichnet findet: wir sollen eben erkennen, daß beides nicht obenhin, ohne Grund gesagt ist.
Haben wir so das Wort der Schrift uns vorgeführt, so erfassen wir jetzt den Sinn der Worte! „Jeder, der mich bekennen wird,“ sagt er, d. h.: „In welchem Alter, in welcher Lebensstellung mich Jemand bekennen wird, der wird der Vergeltung, daß ich auch ihn bekenne, nicht entbehren.“ Wenn er sagt: „Jeder“, so wird Keiner von der Belohnung ausgeschlossen, der ihn bekannt hat. Dagegen wird keineswegs in gleicher Weise Jeder, der ihn verleugnet hat, auch wieder verleugnet; kann es ja doch geschehen, daß Jemand, überwältigt durch die Qualen, mit dem Munde ihn verleugnet, während er ihn im Herzen anbetet.
Ist denn die Sachlage ganz gleich bei demjenigen, der aus sich selbst, so ganz ohne äußere Veranlassung den Herrn verleugnet, und demjenigen, den die Qualen, nicht der eigene Wille zu diesem Verrathe gegen Gott gebracht haben? Wie unzulässig wäre das, wenn bei den Menschen milde Nachsicht im Kampfe gelten sollte, während Gott dem Herrn gleiche Milde abgesprochen wird? Pflegt doch oftmals das Volk bei den Gladiatorenkämpfen auch die Besiegten, wenn ihr Kampf Billigung fand, zugleich mit den Siegern mit dem Siegeskranze zu belohnen; zumal dann, wenn man erkannt, daß sie durch List oder Betrug des Sieges verlustig wurden. Wird denn nun Christus zugeben, daß seine treuen Kämpfer, die er unter wuchtigen Qualen für einen Augenblick erliegen sah, ganz ohne Verzeihung bleiben?
Sollte der Herr, der selbst die, welche er verstößt, nicht für ewig verstößt, ihr Mühen und Kämpfen denn nicht in Anschlag bringen? Sagt doch David: „Nicht ewiglich wird der Herr verstoßen“ und der Irrthum sagt dagegen: „Er wird doch ewiglich verstoßen?“ „Nicht für immer wird er sein Erbarmen zurückziehen von Geschlecht zu Geschlecht, nicht für immer wird Gott vergessen gnädig zu sein.“1 [S. 241] So der königliche Sänger, und es gibt Menschen, die Gottes Erbarmen eindämmen wollen?
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Ambrosius von Mailand (340-397) - Über die Buße (De paenitentia)
Erstes Buch
Cap. 5
Die Irrlehrer behaupten freilich, daß sie nur um deßwillen ihre Meinung aufrecht halten, damit sie den Schein vermeiden, Gott als wandelbar hinzustellen, sofern er nämlich denjenigen Verzeihung gewähre, denen er doch vorher gezürnt habe. Aber wie? sollen wir die ewigen Gottessprüche zurückweisen und den Meinungen dieser Menschen folgen? Gott ist doch nicht nach fremden Meinungen, sondern nach seinen eigenen Worten zu beurtheilen. Welches sprechendere Zeugniß seines Erbarmens können wir anführen, als daß er selbst beim Propheten Osee denen, welchen er in seinem Zorne Strafe androhte, alsbald wieder versöhnt Verzeihung ankündigt? Zuerst sagt er: „Was soll ich dir thun, Ephraim? was soll ich dir thun, Juda? da eure Liebe ist wie Morgengewölk und wie der Thau, der frühe davon geht.“ Dann aber sagt er später: „Wie könnte ich dich hingeben, Ephraim, dich preisgeben Israel? ich könnte dich hingeben, wie Adama und Seboim.“1 Mitten in seinem Zorne hält er inne, wie überwältigt von väterlichem Erbarmen, und erwägt, wie er den Irrenden zur Buße führen möchte. Wie sehr Juda auch schuldig ist, geht Gott doch mit sich selbst zu Rathe. Er sagt: „Ich könnte dich hingeben, wie Adama und Seboim,“ wie jene Städte, welche, Sodoma benachbart, auch gleiches Schicksal, gleichen Untergang erlitten; aber er fügt alsbald hinzu: „Umgewandt hat in mir sich mein Herz, mit eins ist erregt mein [S. 242] Mitleiden. Nicht werde ich ausführen meines Zornes Gluth.“
Scheint es nicht, als ob der Herr Jesus uns sündigen Menschen nur deßhalb zürnt, um uns durch die Furcht vor seinem Zorne zu bekehren? So ist denn sein Unwille nicht die Ausführung seiner Rache, sondern vielmehr die Vorbereitung der Verzeihung: denn so hat er gesagt: „Wenn du umkehrest und in Reueschmerz seufzest, wirst du gerettet werden.“2 Er erwartet unser Seufzen hier in der Zeit, damit er es in der Ewigkeit uns erlassen, er erwartet unsere Thränenströme, damit er seine Milde über uns ergießen kann. So hat er im Mitleid mit den Thränen jener verwittweten Mutter im Evangelium den Sohn derselben wieder erweckt. Er erwartet unsere Umkehr, damit er selbst sich wieder zur Gnade wende. In uns würde die Gnade dauernd bleiben, wenn kein Sündenfall sich in unsere Seele einschliche; da wir aber durch unsere Sünden ihn beleidigen, zeigt er sich unwillig, damit wir gedemüthigt werden. Wir werden aber gedemüthigt, damit wir mehr der Erbarmung als der Strafe würdig erscheinen.
Auch das Wort des Propheten Jeremias möge zur Belehrung dienen: „Nicht auf ewig verwirft der Herr; denn wenn er auch betrübet hat, so erbarmt er sich doch nach der Menge seiner Erbarmungen; nicht mit Lust demüthigt und verwirft er die Menschenkinder.“3 Aus dem, was auf diese Worte folgt, dürfen wir dann schließen, daß gerade deßhalb der Herr „alle Gefangenen des Landes unter seine Füße erniedrigt“, damit wir seinem Strafurtheile entgehen. Wahrlich nicht freudig und mit Lust erniedrigt er den Sünder bis zur Erde, da er ja von der Erde aufrichtet den Schwachen und aus dem Staube erhebt den Armen. [S. 243] Nicht mit Lust erniedrigt derjenige, der sich die Verzeihung vorbehält.
Wenn er nun überhaupt nicht mit Lust den Sünder demüthigt, um wie viel mehr trifft das bei demjenigen zu, der gleichfalls nicht mit voller Herzenshingabe gesündigt hat! Wenn er von den Juden sagte: „Dieses Volk ehret mich mit den Lippen, aber ihr Herz ist weit von mir entfernt,“ dann sagt er vielleicht von manchen Gefallenen: „ Sie haben mit den Lippen mich verleugnet, aber im Herzen sind sie mit mir vereint. Die Qual hat diese Armen überwältigt, keineswegs hat Treulosigkeit sie verführt.“ Und doch verweigern Manche diesen die Verzeihung, während ihr Verfolger selbst für ihren treuen Glauben Zeugniß abgelegt hat, indem er durch Marter und Qualen ihn zu brechen versuchte. Sie haben einmal den Herrn verleugnet, aber seitdem bekennen sie ihn tagtäglich; einmal haben sie ihn verleugnet im Worte, aber seitdem bekennen sie ihn mit ihren Seufzern und Klagerufen, mit ihren Thränen und mit Worten, die freiwillig dem Herzen entströmen, die nicht erzwungen sind. Sie sind freilich auf kurze Zeit der Versuchung des Teufels erlegen: aber bald nachher hat der Teufel wieder von ihnen weichen müssen, da er sie als sein Eigenthum nicht erwerben konnte. Er hat vor ihren Thränen, ihrer Buße weichen müssen; er hatte sich in sie hineingeschlichen, da sie ihm nicht gehörten, er hat sie wieder verloren, nachdem sie sein gewesen.4
Verhält sich das nicht genau so, als wenn ein Eroberer die Bewohner einer bezwungenen Stadt gefangen hinwegführt? Sie werden gefangen hinweggeführt, aber gegen ihren Willen. Gezwungen wandern sie dem fremden Lande zu, aber ihr Herz zieht nicht mit, es eilt zur Heimat zurück und sinnt auf Mittel, dorthin den Weg wieder zu finden. Und wenn sie nun heimkehren, wer kann dann rathen, sie nicht wieder [S. 244] aufzunehmen? Ihre Ehre mag in etwas gemindert sein, aber ihr Eifer ist nur um so größer und hingebender, Alles zu vermeiden, was der Feind gegen sie ausbeuten könnte. Während du dem Bewaffneten, der noch kämpfen konnte, verzeihest, willst du dem nicht verzeihen, in dem einzig der Glaube kämpfte.
Und wenn wir die Meinung des Teufels selbst über diese Gefallenen erforschen wollten, scheint es nicht, als müßte er sagen: „Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, aber ihr Herz ist weit von mir entfernt. Wie kann es mit mir halten, während es von Christus nicht gewichen ist? Die scheinen zu Unrecht mich zu ehren, welche die Lehre Jesu befolgen: ich aber glaubte, daß sie meine Lehre verkündigten“? Sie verurtheilen in der That nur noch mehr und schärfer, wovon sie sich nach trauriger Erfahrung abgewandt haben. Wenn Jesus sie bei ihrer Rückkehr wieder aufnimmt, so wird er in ihnen nur um so mehr verherrlicht. Alle Engel jubeln; denn es ist im Himmel mehr Freude über einen Sünder, der Buße thut, als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen. „Ueber mich“, muß der Teufel bekennen, „wird so im Himmel, wie auf Erden triumphirt. Nichts geht doch Christus verloren, da diejenigen, welche in den Thränen ihrer Martern zu mir kamen, sehnsuchtsvoll zur Kirche zurückeilen. Durch ihr Beispiel laufe ich obendrein noch Gefahr, auch die zu verlieren, welche sich mir verschrieben haben, und welche nun zu der Einsicht gekommen sind, daß hier, wo die Menschen mit Belohnung der Gegenwart verlockt werden, doch eigentlich Nichts ist; daß dort aber gar viel sein muß, wo Seufzen, Thränen, Fasten und Abtödtungen meinen Ueppigkeitsmahlen vorgezogen werden.“
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Ambrosius von Mailand (340-397) - Über die Buße (De paenitentia)
Erstes Buch
Cap. 6
Diese nun schließet ihr Novatianer aus? Oder ist das etwa nicht ausschließen, wenn ihr ihnen die Hoffnung auf Verzeihung versagt? Aber der Samaritaner ging doch an [S. 245] dem Menschen, den die Räuber halbtodt hatten liegen lassen, nicht mitleidslos vorüber! Nein, er träufelte Oel und Wein in seine Wunden, Oel zuerst, um sie zu erquicken. Dann lud er den Verwundeten auf sein Lastthier: so trug er stets alle Seelenwunden der Sünder hinweg. Auch der gute Hirt verachtete nicht das verirrte Schaf.
Ihr aber saget: „Rühre mich nicht an!“ Ihr, die ihr euch gerne gerecht machen wollet, ihr saget: „Es ist nicht unser Nächster.“ So seid ihr noch stolzer, als jener Gesetzesgelehrte, der den Herrn versuchen wollte und sprach: „Wer ist mein Nächster?“ Dieser fragte doch nur, ihr leugnet es geradezu. Jenem Priester vergleichbar schreitet ihr einher, wie jener Levit geht ihr vorüber an dem, welchen ihr zur Heilung aufnehmen müßtet; ihr nehmet in die Herberge, der Christus die beiden heiligen Münzen zurückließ, den nicht auf, dessen Nächster ihr sein sollt, damit ihr an ihm Barmherzigkeit übet. Gerade der ist euer Nächster, den nicht bloß gleiche Natur, sondern auch das Erbarmen mit euch verbunden hat. In eurem Stolze erachtet ihr euch als fremd gegen ihn, und indem ihr euch ganz ohne Grund in eurem fleischlichen Stolze erhebet, haltet ihr nicht Gemeinschaft mit dem Haupte. Hieltet ihr an diesem fest, so müßtet ihr wissen, daß ihr den nicht verlassen dürft, für welchen Christus gestorben ist; ihr müßtet dann wissen, daß der ganze Leib mehr durch innigeres Zusammenschließen, als durch Ablösen zur Ehre Gottes durch das Band der Liebe, durch die Erlösung des Sünders wächst.
Wenn ihr nun so jede Frucht der Buße hinwegnehmt, was sagt ihr dann anders, als dieses: „Keiner von den Verwundeten mag in unsere Herberge eintreten? In unserer Kirche wird ja Niemand geheilt. Bei uns genesen keine Kranke; wir sind allesammt gesund und bedürfen keines Arztes, ganz so wie der Herr selbst gesagt hat: „Nicht die Gesunden bedürfen des Arztes, sondern die Kranken.“
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Cap. 6
Diese nun schließet ihr Novatianer aus? Oder ist das etwa nicht ausschließen, wenn ihr ihnen die Hoffnung auf Verzeihung versagt? Aber der Samaritaner ging doch an [S. 245] dem Menschen, den die Räuber halbtodt hatten liegen lassen, nicht mitleidslos vorüber! Nein, er träufelte Oel und Wein in seine Wunden, Oel zuerst, um sie zu erquicken. Dann lud er den Verwundeten auf sein Lastthier: so trug er stets alle Seelenwunden der Sünder hinweg. Auch der gute Hirt verachtete nicht das verirrte Schaf.
Ihr aber saget: „Rühre mich nicht an!“ Ihr, die ihr euch gerne gerecht machen wollet, ihr saget: „Es ist nicht unser Nächster.“ So seid ihr noch stolzer, als jener Gesetzesgelehrte, der den Herrn versuchen wollte und sprach: „Wer ist mein Nächster?“ Dieser fragte doch nur, ihr leugnet es geradezu. Jenem Priester vergleichbar schreitet ihr einher, wie jener Levit geht ihr vorüber an dem, welchen ihr zur Heilung aufnehmen müßtet; ihr nehmet in die Herberge, der Christus die beiden heiligen Münzen zurückließ, den nicht auf, dessen Nächster ihr sein sollt, damit ihr an ihm Barmherzigkeit übet. Gerade der ist euer Nächster, den nicht bloß gleiche Natur, sondern auch das Erbarmen mit euch verbunden hat. In eurem Stolze erachtet ihr euch als fremd gegen ihn, und indem ihr euch ganz ohne Grund in eurem fleischlichen Stolze erhebet, haltet ihr nicht Gemeinschaft mit dem Haupte. Hieltet ihr an diesem fest, so müßtet ihr wissen, daß ihr den nicht verlassen dürft, für welchen Christus gestorben ist; ihr müßtet dann wissen, daß der ganze Leib mehr durch innigeres Zusammenschließen, als durch Ablösen zur Ehre Gottes durch das Band der Liebe, durch die Erlösung des Sünders wächst.
Wenn ihr nun so jede Frucht der Buße hinwegnehmt, was sagt ihr dann anders, als dieses: „Keiner von den Verwundeten mag in unsere Herberge eintreten? In unserer Kirche wird ja Niemand geheilt. Bei uns genesen keine Kranke; wir sind allesammt gesund und bedürfen keines Arztes, ganz so wie der Herr selbst gesagt hat: „Nicht die Gesunden bedürfen des Arztes, sondern die Kranken.“
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