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#1

Giordano Bruno – Hochstapler, Anarchist, Querulant und Provokateur

in Literatur 23.06.2015 13:26
von Andi • 1.077 Beiträge

Wer heute das nächtliche Rom durchstreift, wird unweigerlich früher oder später auf den Campo di Fiori gelangen, den Platz der Blumenhändler, auf dem sich die Jugend der Ewigen Stadt und junges Volk aus aller Welt trifft, um bis in die Morgenstunden das dolce vita zu genießen. Es ist kein schöner Platz, nicht vergleichbar mit der benachbarten Piazza Navona, die von päpstlicher Monumentalarchitektur dominiert wird, der barocken St. Agnes-Kirche ebenso wie dem „Vierströmebrunnen" Berninis, überragt von einem antiken Obelisken, der noch immer daran erinnert, das hier einst der Zirkus des Domitian stand, in dem auch Christen hingerichtet wurden. Den Campo di Fiori dagegen umgeben nur verwinkelte Häuser von morbidem Charme, und in seiner Mitte steht auf einem mächtigen Sockel die düstere Statue eines Kapuzenmannes, errichtet von der ersten italienischen Republik als bewußte Provokation gegen die Kirche. Jeder Romkenner weiß, wen sie darstellt, ohne das er die Weiheinschrift aus dem Jahre 1889 lesen muß: „Für Bruno: Das Jahrhundert, das seine zukunftsweisenden Ideen als richtig erkannte, errichtete ihm hier, wo der Scheiterhaufen gebrannt hat, dieses Standbild." Hier starb Giordano Bruno (1548-1600) aus Nola, ein ehemaliger Dominikanermönch, angeklagt der Ketzerei, hier wurde er zur Legende.

Seitdem gilt er als Märtyrer der Wissenschaft, als Vordenker der Aufklärung und Schutzpatron des Antiklerikalismus. Humanisten berufen sich ebenso auf ihn wie Esoteriker, Wissenschaftsgläubige wie Neu-Gnostiker. In Deutschland etwa nennt sich der Zentralverband der Atheisten und Agnostiker (oder, nach ihrem Selbstverständnis, „Förderer des evolutionären Humanismus") „Giordano Bruno-Stiftung". Sein Ziel ist es, den Glauben an den Allmächtigen durch den Glauben an die Allmacht der Wissenschaft zu ersetzen und religiöse Überzeugungen aus Politik und Gesellschaft zu verbannen. Ein Zitat aus den Schriften des Nolaners qualifizierte ihn für die Rolle als Galionsfigur des wissenschaftsgläubigen Nihilismus: „Betet zu Gott, auf das er, falls ihr noch keine Esel seid, Euch zu Eseln werden lasse! ... Toren in der Welt sind jene gewesen, die die Religion, die Zeremonien, das Gesetz, den Glauben, die Lebensordnung begründet haben; die größten Esel der Welt, die jedes anderen Sinnes und Wissens bar und alles geselligen Lebens und geselliger Gesittung entbehrend in ständiger Pedanterie wandeln."
Natürlich kann sich der Tote gegen solche Vereinnahmungen nicht mehr wehren, und da er in seinem Leben sehr viel geschrieben und noch mehr gelehrt und wieder verworfen hat, eignet er sich hervorragend als Märtyrer für jede unorthodoxe Denkrichtung. Zwar lehrte Bruno auch (wenn auch falsch verstandene) kopernikanische Astronomie und hermetische Kosmologie, eines aber war er gewiß nie: ein objektiv forschender Naturwissenschaftler, der experimentiert, berechnet oder beobachtet. Sämtliche seiner Schlußfolgerungen beruhten auf philosophischen Spekulationen. Doch was führte wirklich zu seiner tragischen Verurteilung?
Untersucht man das Leben des Soldatensohns, so erscheint Bruno als Getriebener, dem es immer wieder gelang, das Fundament, das er sich gerade errichtet hatte, zum Einsturz zu bringen, Menschen, die ihm wohlgesonnen waren, zu brüskieren und Skandal zu inszenieren, die ihn zur Flucht zwangen. Er war zweifellos genial, doch ebenso verrückt, gebildet und größenwahnsinnig, boshaft, ja gehässig, intolerant und selbstsüchtig, ein Querulant und Provokateur, Hochstapler und Anarchist, ausgestattet mit anmaßender Arroganz und dem Talent zur oft bombastischen Selbstinszenierung. Kein Tabu seiner Zeit, das er verschonte, keine Häresie, auf die er sich nicht begierig stürzte, vom Arianismus bis zur Gnosis, vom Calvinismus bis zur Magie. So gelang ihm der gefährliche Spagat, gleichzeitig ein barocker Scharlatan und ein origineller Philosoph zu sein.


Philipper 2,10
Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen,
damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihre Knie beugen vor dem Namen Jesu
und jeder Mund bekennt:,Jesus Christus ist der Herr, - zur Ehre Gottes, des Vaters.
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#2

RE: Giordano Bruno – Hochstapler, Anarchist, Querulant und Provokateur

in Literatur 23.06.2015 13:29
von Andi • 1.077 Beiträge

Alles „Esel und Ignoranten“

Schon mit 17 Jahren trat Bruno dem Dominikanerorden bei. Als Novize in Neapel, so schrieb er später, hielt er seine Mitbrüder zunächst für „Götter auf Erden", bald aber für „Esel und Ignoranten". Er verbannte alle Heiligenbilder aus seiner Zelle und riet einem Mitbruder, statt eines Buches zur Marienverehrung lieber eine Biographie der Kirchenväter zu lesen. Als er während seines Theologiestudiums Zweifel an der Dreifaltigkeitslehre äußerte, bevorzugt verbotene Bücher las und sich offen zum Arianismus bekannte, schickten seine Oberen den aufmüpfigen Studenten entnervt nach Rom, wo ihm sein erster Prozeß gemacht wurde. Noch bevor er von dort floh, übersandte er dem Papst eine selbstverfaßte Satire, „Die Arche Noah", in der die Esel um ihren Vorrang stritten. Dann legte der Mönch sein Habit ab und reiste nach Norden. Erst als er dort in Dominikanerklöstern Zuflucht suchen wollte, trug er wieder die Ordenstracht.

Sein nächstes Ziel war Genf, die Hochburg des protestantischen Calvinismus, zu dem er zunächst begeistert konvertierte. Er schrieb sich an der lokalen Universität ein, gab als Berufsbezeichnung „Professor der heiligen Theologie" an und hoffte auf eine Anstellung. Doch als er einen der angesehensten Lehrer der Genfer Akademie in einem Flugblatt offen angriff, platzte den Calvinisten der Kragen. Sie stellten Bruno vor Gericht, er mußte sich entschuldigen, wurde exkommuniziert und aus der Stadt gejagt.


In Lyon und Toulouse lehrte er Astronomie und aristotelische Philosophie, legte sich mit einem ihm ursprünglich wohlgesinnten Kollegen an und zog weiter nach Paris. In der französischen Hauptstadt machte er mit einem Merksystem von sich reden, das er „Gedächtniskunst" nannte und über das er Seminare abhielt. Er selbst schien zeitlebens über ein phänomenales Gedächtnis verfügt zu haben und nahm begierig in sich auf, was er zu Fragen der Philosophie und Metaphysik in die Hände bekam. Besonders hatte es ihm die „Hermetische Philosophie" angetan, zu der er bald ein eigenes Werk verfaßte, der Neuplatonismus und die Gnosis, aber auch Schriften zur Magie, etwa die „Okkulte Philosophie" des Deutschen Cornelius Agrippa von Nettesheim, des historischen „Doktor Faust". Er wurde zum Pantheisten, war überzeugt, das Gott und die Schöpfung identisch seien. Da Gott unbegrenzt ist, müsse das Weltall es auch sein, wären auch die Sterne Sonnen, um die andere, bewohnte Planeten kreisen. Christus aber, so schlußfolgerte er, könne dann nur ein Mensch gewesen sein, „durch den sich die Gottheit mitgeteilt habe". So fragwürdig es auch ist, naturwissenschaftliche Thesen aus esoterischen Spekulationen abzuleiten, so machte ihn seine kosmologische Erkenntnis in den Augen späterer Bewunderer zum Pionier der Naturwissenschaften. Erst die Urknalltheorie widerlegte seine Theorie vom unendlichen, ewigen Universum.

Mit einiger Selbstironie bezeichnete er sich selbst zu diesem Zeitpunkt als „Bruno aus Nola, Akademiker keiner Akademie, genannt das Ekel" und schrieb eine ebenso vulgäre wie geistreiche Komödie, durch die man bald auch in England auf ihn aufmerksam wurde. Sofort reiste er auf Empfehlung des britischen Botschafters nach London, wohnte in der französischen Botschaft und feierte zunächst Triumphe als Kritiker des Aristoteles, Verkünder des Kopernikanismus, fahrender Ritter der Gedankenfreiheit und erklärter Gegner des Christentums. Doch als er sich um eine Professur in Oxford bemühte, scheiterte er kläglich. Obwohl er mit „Namen und Titeln, länger als sein Körper` hausieren ging, empfand man ihn als „eher kühn denn weise", wie einer der etablierten Professoren befand. Seine Zuhörer fanden es zwar amüsant, wie der temperamentvolle Süditaliener „wie ein Jongleur seine Ärmel zurückschlug", um mit Händen und Füßen zu dozieren, „das sich die Erde dreht und die Himmel stillstehen, während tatsächlich sein eigener Kopf sich drehte und sein Hirn nicht stillstand", doch als ihm ein Zuhörer vorhielt, die Vorlesung fast wörtlich einem bekannten Lehrbuch entnommen zu haben, war der Spaß vorbei: Der „Mann der unendlichen Titel und anderer phantastischer Spielereien" (wie ihn ein anderer Kritiker in Oxford ironisch nannte), darunter „Ausübender der Magie und Doktor der Theologie", der Verfasser bombastischer, anmaßender Briefe an den Vizekanzler und die Dozenten der Universität, war fortan in Oxford unerwünscht. Er revanchierte sich, indem er die Gelehrten als „nichtsnutzige Pedanten, lumpige Worthelden, dumme Faune (und) unwissende Esel" beschimpfte. Wieder in London, verdiente er sich seinen Lebensunterhalt damit, Erbauungsliteratur für die oberen Zehntausend zu schreiben. In einer Abhandlung über Kopernikus machte er allerdings den Fehler, zu behaupten, der Mond würde nicht um die Erde kreisen, sondern hätte seine eigene Umlaufbahn um die Sonne; er hatte das Latein des Astronomen falsch übersetzt. Kein Wunder, das ihm später der Astronom Tycho Brahe, den er in Prag traf, vorwarf, astronomisch „eine Null" zu sein (Brahe wörtlich über „Bruno aus Nola": „Null, niemand und nichts — die Namen passen oft zur Sache"). In seinem Buch „Die Austreibung der triumphierenden Bestie" (1584) kritisierte er massiv Kirche und Papst und zog die Heiligenverehrung ins Lächerliche. Doch obwohl er Königin Elisabeth I. in seinen Werken schwülstig als „Nymphe Englands", „einzige Diana" und „göttliche Königin" umschmeichelte, war man in England bald seiner überdrüssig; er wurde aufgefordert, doch bitte nach Paris zurückzukehren. Später sollten ihm diese Lobeshymnen zum Verhängnis werden; Elisabeth hatte in ihrem Reich die Katholiken blutig verfolgen lassen, zu Hunderten im Londoner Tower eingekerkert und brutal gefoltert. Seitdem galt sie in allen katholischen Ländern als Ketzerin.


Philipper 2,10
Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen,
damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihre Knie beugen vor dem Namen Jesu
und jeder Mund bekennt:,Jesus Christus ist der Herr, - zur Ehre Gottes, des Vaters.
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#3

RE: Giordano Bruno – Hochstapler, Anarchist, Querulant und Provokateur

in Literatur 23.06.2015 13:30
von Andi • 1.077 Beiträge

Von einem, der auszog Aristoteles zu wiederlegen


In der französischen Hauptstadt erwog er kurzfristig, in den Schoß der Kirche zurückzukehren, nachdem man ihm nahegelegt hatte, das dies für seine Karriere nützlich sein könnte. Doch als die Jesuiten ihm erklärten, nur der Papst könne ihm die Absolution erteilen, nahm er das Gesuch trotzig wieder zurück. Statt dessen inszenierte er am College de Cambrai eine öffentliche Disputation „über die Natur und die Welt", die drei Tage lang dauern sollte. Schon auf der ersten Sitzung kam es zum Eklat, als er allzu provokativ wurde, sich „einen Aristotelesfresser" nannte und den großen Griechen, dessen Werke die Grundlage der scholastischen Theologie des Mittelalters waren, als „den Gott der Ignoranz der Philosophen" abkanzelte. Fluchtartig verließ er noch am selben Abend die Stadt und reiste nach Deutschland. Im calvinistischen Marburg machte er den Fehler, sich als „Doktor der römischen Theologie" einzutragen, in Wittenberg versuchte er in privaten Vorlesungen erneut, Aristoteles zu widerlegen. Da er nun schon mal in der Lutherstadt war, konvertierte er auch gleich zum Protestantismus, pries seine Gastgeber mit den Worten, der Weltgeist habe sich nach Ägypten und Assyrien, Griechenland und Rom jetzt in Deutschland niedergelassen, und sang ein Loblieb auf Luther als Kämpfer gegen das Papsttum. Dann zog er weiter, wieder im Streit mit seinen wissenschaftlichen Kollegen, bei denen er längst als boshafter Egozentriker verschrien war. Wo immer er hinkam, eckte er an. In Prag schickte ihn Kaiser Rudolph II., sonst als Mäzen selbst der abstrusesten Okkultisten bekannt, mit 300 Talern von dannen. In Tübingen beschloß man nach kurzer Zeit, „menschlich mit ihm zu verfahren, auf das er sich hier nicht länger aufhalte", und bot ihm vier Taler an, wenn er möglichst bald verschwände. Daraufhin lies er sich in Helmstedt nieder, wo er drei Abhandlungen zur Magie verfaßte. Seine neuen evangelischen Glaubensbrüder waren so schockiert darüber, daß der örtliche Hauptpfarrer und Superintendent ihn offiziell exkommunizierte. Als Bruno schließlich 1590 Frankfurt erreichte, bat ihn sogleich der Bürgermeister, „das er sein pfennig anderstwo verzere", doch die Karmeliter gewährten ihm Unterschlupf, so das er zumindest noch die Buchmesse besuchen konnte. Dort gelang es ihm, einen Verleger für zwei Buchprojekte zu finden, die er dann auch ein Jahr später, wieder in Frankfurt, präsentierte. Ein Besucher der Buchmesse, Giovanni Mocenigo aus Padua, war von diesen Werken so begeistert, dass er Bruno in sein Haus einlud, mit der Bitte, ihm Unterricht in der „Gedächtniskunst" zu geben. Getrieben von Heimweh nach Italien und der Aussicht, endlich einen wohlhabenden Mäzen gefunden zu haben, nahm der Wanderphilosoph das Angebot an. Erhofft hatte sich Mocenigo allerdings eine Einweihung in die praktische Magie. Als er diese nicht erhielt und ihm Bruno auch sonst ziemlich auf die Nerven ging, zeigte er seinen Gast kurzerhand bei der venezianischen Inquisition an. Festgenommen, der Ketzerei bezichtigt und befragt, widerrief dieser seine Schriften, war bereit, „seinen Irrtümern" abzuschwören und „sich zu bessern", wenn er nur freikäme. Doch den Venezianern war der Fall zu heikel und viel zu kompliziert. Als Mönch, der einst den Gehorsamseid geleistet hatte und nie offiziell aus dem Orden entlassen worden war, oblag er der Gerichtsbarkeit der Römischen Inquisition. So wurde er schließlich Anfang 1593 nach Rom gebracht; jetzt wußte der Nolaner, das er in der Falle saß


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#4

RE: Giordano Bruno – Hochstapler, Anarchist, Querulant und Provokateur

in Literatur 23.06.2015 13:31
von Andi • 1.077 Beiträge

Der Prozeß

Sein Prozeß dauerte sieben Jahre, denn man wollte mit großer Gründlichkeit und Sorgfalt vorgehen. Zudem war der Fall äußerst komplex. Es dauerte seine Zeit, bevor alle Zeugen vernommen waren und Brunos sämtliche Publikationen in Rom vorlagen. Erschwerend kam hinzu, daß vieles von dem, was Bruno geschrieben hatte, unklar und manchmal sogar widersprüchlich war. Er selbst war während dieser Zeit auf der Engelsburg untergebracht, die den Päpsten im Mittelalter als Zuflucht und jetzt der Inquisition als Gefängnis diente. Da Papst Clemens VIII. (1592-1605) seine Schuld für erwiesen hielt, wurde auf seine Anweisung hin ausdrücklich auf die Anwendung der Folter verzichtet. (Nur Baigent/Leigh behaupten unverfroren, er sei „schwerster und langwierigster Folter" unterzogen worden.) Anfang 1598 war die Prozeßakte so weit angeschwollen, das eine Zusammenfassung angeordnet werden mußte. Eindeutig häretische Thesen, etwa das Bestreiten der Göttlichkeit Christi und der Jungfräulichkeit Seiner Mutter, war der Nolaner zunächst bereit, zu widerrufen, um sie dann doch zu wiederholen. Mehr noch, er diktierte dem Papst seine Bedingungen. Würde Clemens eine von ihm, Giordano Bruno, zusammengestellte Liste von Lehrsätzen als ketzerisch verdammen — darunter so fundamentale Glaubenswahrheiten wie die Lehre von der Transsubstantiation, also die Realpräsenz Jesu Christi in der Eucharistie —, wäre er, Giordano Bruno, bereit, sich zu unterwerfen. So spielte er jahrelang mit seinen Richtern „Katz und Maus". Schließlich ernannte der Papst den Kardinal Robert Bellarmin zu Brunos Richter. In dem gelehrten Jesuiten und päpstlichen Haustheologen, einem der brillantesten katholischen Denker seiner Zeit, hatte der Nolaner einen mindestens ebenbürtigen Gegner gefunden. Um das Verfahren abzukürzen, reduzierte Bellarmin die Vorwürfe gegen Bruno auf acht Thesen, womit der Angeklagte einverstanden war.
Leider sind uns weder die Liste der acht Thesen noch andere Dokumente des Prozesses erhalten. Als die Truppen Napoleons 1808 Rom besetzten, wurden sämtliche Prozeßakten konfisziert und nach Paris gebracht. Der Kaiser sammelte Material gegen die Kirche, um seinen Einmarsch in den Kirchenstaat und die Konfiszierung unzähliger Kirchenschätze zu rechtfertigen. Seitdem sind sie verschwunden; wir sind also bei der folgenden Rekonstruktion auf Hinweise und Zitate aus anderen Quellen angewiesen.
Danach spielte Bruno offenbar wieder sein altes Spiel. Hätte er an diesem Punkt die acht als häretisch befundenen Thesen widerrufen, wäre er zu einer dreijährigen Gefängnisstrafe verurteilt und dann freigelassen worden. Obwohl er sich nach weltlichem Recht längst der Fahnenflucht und des Hochverrats schuldig gemacht hätte und wohl standrechtlich hingerichtet worden wäre, war die Kirche bis zuletzt zur Versöhnung bereit. Eine solche Kapitulation aber war mit der Eitelkeit des süditalienischen Egozentrikers nicht vereinbar.
Als er am 21. Dezember 1599, nach Ablauf der Bedenkfrist, erneut seinen Richtern vorgefü hrt wurde, erklärte er, er „habe nichts zu überdenken und wisse auch nichts, worüber er sich bedenken solle." Noch einmal versuchten die Kardinäle, ihm klarzumachen, worauf er sich gerade einließ. Sie schickten zwei Dominikanerobere zu ihm, die mit Engelszungen auf ihn einredeten, seinen Irrtümern abzuschwören. Doch plötzlich behauptete Bruno, nie etwas Häretisches geschrieben zu haben; er sei vielmehr mißverstanden worden. Natürlich sei er gerne bereit, seine Thesen öffentlich und mit jedem Theologen zu diskutieren. Verantwortlich aber fühle er sich nur gegenüber dem Apostolischen Stuhl und den kirchlichen Dekreten, und auch das nur, wenn sie aus der Zeit der Kirchenväter stammten. „Im Grunde führte er den Papst und die Inquisition nur an der Nase herum", schrieb ein Augenzeuge des Prozesses aus Rom, der Deutsche Caspar Schoppe, einem Freund in der Heimat.


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RE: Giordano Bruno – Hochstapler, Anarchist, Querulant und Provokateur

in Literatur 23.06.2015 13:33
von Andi • 1.077 Beiträge

Verurteilt wegen Starrköpfigkeit

Nicht seine Thesen, nichts, was er je geschrieben hatte, brachte ihn auf den Scheiterhaufen, sondern dieses hartnäckige Leugnen, das Beharren darauf, nie geirrt zu haben, mit anderen Worten: sein geradezu pathologischer Narzißmus. Der Schuldspruch, der schließlich am 8. Februar 1600 verkündet wurde, wiederholte ganze fünf Mal, der Angeklagte sei „ohne Reue, beharrlich und verhärtet" in seiner Häresie. Dann wurde er „dem weltlichen Amt" übergeben — zur Hinrichtung.
Caspar Schoppe berichtete am 17. Februar 1600, dem Todestag Brunos: „Es ging so: Erst wurde von seinem Leben, seinen Studien und seiner Lehre berichtet und darauf hingewiesen, mit welcher Fürsorglichkeit die Inquisition versucht hatte, ihm seinen Irrweg aufzuzeigen und ihn brüderlich zu ermahnen. Geschildert wurde, wie hartnäckig und gottlos Bruno gewesen war, dann wurde ihm seine Stellung als Geistlicher aberkannt, woraufhin man ihn exkommunizierte und dem weltlichen Arm zur Bestrafung übergab mit der Bitte, die Strafe möge so gnädig ausfallen wie möglich und ohne Blutvergießen vonstatten gehen. Während der ganzen Zeit erwiderte Bruno kein Wort, nur einmal sagte er in drohendem Ton: ,Vielleicht habt ihr, die ihr dies Urteil fällt, mehr Grund zur Angst als ich, der ich es hinnehmen muß.'
So wurde er von den Männern des Stadtoberhaupts ins Gefängnis gebracht, wo man ihn noch acht Tage lang festhielt, für den Fall, daЯ er seine Irrtümer widerrufen wollte; aber ohne Erfolg. Und deshalb wurde er heute auf den Scheiterhaufen geschickt. Als ihm vor dem Tod das Bild des Gekreuzigten hingehalten wurde, wies er es mit bitterer Verachtung zurück. Er ging in den glühenden Flammen elendiglich zugrunde und war vielleicht kurz davor, auf die Welten zu verzichten, die er erdacht hatte. Und so werden gotteslästerliche und gottlose Menschen für gewöhnlich von den Römern behandelt." Wäre das Urteil nicht vollstreckt worden, das Papsttum hätte seine Autorität eingebüßt. „Hauptziel des Prozesses und der Urteilsvollstreckung ist, die Seele des Beschuldigten zu retten, sondern für das öffentliche Wohl zu sorgen und andere abzuschrecken", heißt es im Inquisitoren-Handbuch des Francisco Pena.

Doch worum ging es, für welche Thesen war Bruno bereit zu sterben? Die römische Zeitung „Avisi di Roma" berichtete zwei Tage später nur: „Der abscheuliche Dominikanerbruder von Nola, über den wir schon früher berichtet haben, wurde am Donnerstag morgen auf dem Campo di Fiori bei lebendigem Leib verbrannt. Er war ein ungemein halsstarriger Ketzer, der aus seiner eigenen Eingebung verschiedene Dogmen gegen unseren Glauben fabrizierte, besonders aber gegen die heilige Jungfrau und andere Heilige. Der Elende war so hartnäckig, daß er gewillt war zu sterben. Er sagte sogar, daß er gern und als Märtyrer sterben werde und daß seine Seele in den Flammen zum Paradiese aufsteigen werden. Jetzt wird er wohl wissen, ob er die Wahrheit gesagt hat."
Schoppe dagegen zählt eine ganze Reihe von Thesen auf, die während der Urteilsverkündigung aufgezählt wurden:

„In (seinen) Büchern behauptet Bruno gräßlich widersinnige Vorstellungen: daß es unzählige Welten gibt; das die Seele von Körper zu Körper oder in eine andere Welt hinüberwandert; das eine einzige Seele zwei Körpern zugleich Gestalt verleihen kann; das die Magie nützlich und zulässig ist; das der Heilige Geist nichts anderes ist als die Weltseele; ... das die Welt seit Ewigkeit existiert; das Moses seine Wunder mit Hilfe der Magie vollbrachte, in der er besser bewandert war als die übrigen Ägypter; das er sich seine Gesetze selbst ausdachte; das die Heilige Schrift eine Täuschung ist; das Teufel heilbringende Taten tun können; das nur die Juden von Adam und Eva abstammen, die übrigen Menschen dagegen von zwei Wesen, die Gott am Vortag erschaffen hat; das Christus nicht Gott ist, sondern ein meisterhafter Zauberer, der die Leute an der Nase herumführte und deshalb zu Recht gehängt wurde ... nicht gekreuzigt; das Propheten und Apostel gottlos waren und einige von ihnen als Zauberer gehängt wurden. Ich würde gar kein Ende finden, wenn ich alle Hirngespinste wiedergeben sollte, die Bruno in seinen Büchern und in persona behauptete. Mit einem Wort, er war ein unerschütterlicher Verfechter all dessen, was heidnische Philosophen und alte oder neue Häretiker vorgebracht haben."

Nur: Die Lehre des Kopernikus war nicht darunter. Giordano Bruno mußte nicht sterben, weil er Anhänger des heliozentrischen Weltbildes war, und auch nicht dafür, das er, in erstaunlicher Vorwegnahme, erkannt hatte, das die Sterne ferne Sonnen sind. Er war eben kein Wissenschaftler, sondern ein Theoretiker der Magie, ein hermetischer Philosoph. Fern jeder wissenschaftlichen Methodik hatte er aus einem gewagten esoterisch-philosophischen Axiom, der pantheistischen Doktrin („Gott ist unendlich und ewig und mit der Schöpfung identisch"), zwei falsche („daher muß auch das Universum unendlich und ewig sein") und zwei richtige („die Sterne sind dann ferne Sonnen, die ebenfalls von Planeten umgeben sind") naturwissenschaftliche Schlußfolgerungen gezogen. Er mußte als Ketzer gelten, weil in seinem ewigen und unendlichen Weltall kein Raum mehr war für einen persönlichen Gott und keine Zeit für ein Jüngstes Gericht. Doch verurteilt wurde er, weil er sich selbst überschätzte, weil er glaubte, er könne mit den Männern der Kirche spielen und dabei die Regeln diktieren. Durch den Flammentod aber wurde der ewige Querulant und geniale Scharlatan, den drei Konfessionen exkommunizierten, der sich in Oxford und Paris bis auf die Knochen blamiert hatte und den nicht eine einzige europäische Universität eines Lehrstuhls für würdig befand, unsterblich. Er, der Nolaner, hatte mit der ihm eigenen Arroganz dem Papst getrotzt. Jetzt galt Giordano Bruno als Märtyrer, wurde zum Mythos. Und es gelang ihm, nicht nur Clemens VIII., nicht nur seine Zeit — sondern auch seine Nachwelt an der Nase herumzuführen.


Michael Hesemann – Historiker, Autor und Fachjournalist für kirchengeschichtliche Themen


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