Was heißt beten eigentlich?
"(...) Beten heißt, nicht nur die Geisteskräfte zusammenraffen, beten heißt, die Seele hineintauchen in Gott in tiefster Demut und Anbetung, in wahrer Liebe und Hingabe. Beten heißt, dem Herrgott anbieten eine reine, heilige, liebende Seele. Beten heißt, in den Himmel hinaufreichen und Gottes Gnade herabholen. Wir haben es bitter nötig zu rufen: „Herr, lehre uns beten!“
Der Herr hat das tiefe Wort gesprochen: „Ohne mich könnt ihr nichts tun.“ „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben.“ „Wenn ihr in mir bleibt, dann könnt ihr wirken.“ „Ohne meine Kraft seid ihr wie Rebzweige, die ausgeschnitten werden und verbrannt werden.“
Und der heilige Paulus hat das tiefe Wort gesprochen: „Niemand kann sagen: Herr Jesus, außer im Heiligen Geiste.“ Das heißt: Wenn wir beten wollen, wie es Gott gefällt, dann nur so, dass wir in seiner Gnade beten. Beten ist eine Gnade, ein Geschenk Gottes, eine der größten Gnaden, die Gott den Menschen geben kann.
Beten ist etwas Großes, über alles Irdische erhaben. „Ohne mich könnt ihr nichts tun.“ Also auch nicht beten. „Niemand kann sagen: Herr Jesus, außer im Heiligen Geiste.“
Einer, der es tiefer erfaßt hat als wir, nämlich der heilige Pfarrer von Ars, Johannes Vianney, hat einmal in einer Predigt gesagt: „Wir hätten es verdient, nicht beten zu dürfen. Aber Gott hat uns in seiner Güte gestattet, dass wir zu ihm sprechen dürfen.“
Wir hätten es verdient, nicht beten zu dürfen. Aber Gott hat uns in seiner Güte gestattet, dass wir zu ihm sprechen dürfen. Weil das Gebet eine Gnade ist, kommt es denen am leichtesten an, zu beten, die in der Gnade leben, die aus der Gnade leben, die mit der Gnade leben.
Und das sind oft nicht die Großen dieser Welt, sondern die Kleinen, die Bescheidenen, die Demütigen, die man übersieht, die man vergißt. Die verstehen häufig, gut zu beten. Ihr Gebet dringt durch den Himmel.
Ich kenne die Einwände, die wir alle haben, nämlich: Mir fehlt die Andacht beim Gebet. Rufen wir: Herr, lehre mich beten! Wir kommen in das Gotteshaus, wir besuchen die heilige Messe. Es ist nicht notwendig, dass wir das Gebetbuch in die Hand nehmen.
Wenn wir nur rufen, die ganze heilige Messe: „Herr, lehre mich beten“, dann haben wir die Messe gut mitgefeiert. „Ich schaffe es nimmermehr. Herr, lehre mich beten!“ Was ist das ein ergreifendes Gebet!
Und wenn wir nur unser Stammeln zum Himmel schicken, dann haben wir gut gebetet. Aber es würde aus dem Herzen kommen. Nur was aus dem Herzen kommt, findet zum Herzen Gottes. Wer sich eingesteht, dass er nicht beten kann und dann doch betet und um Gnade fleht, dem ist Gott am allernächsten.
Es gibt Mittel, meine lieben Freunde, um andächtig zu beten. Die Andacht leidet häufig durch die Länge des Gebetes. Ein einziges andächtig gebetetes Vaterunser ist besser als viele, die hastig und gedankenlos heruntergeleiert werden.
Besser wenige Worte und viel Herz als viele Worte und wenig Herz.
Dazu ein anderes: Man muss sich für das Gebet rüsten. Wir müssen uns schon vor dem Gebet in die Gegenwart Gottes versetzen. Man muss sich sammeln, man muss sich aufmuntern, um das Gebet gut zu verrichten. Wir sollten uns angewöhnen, vor jedem Gebet uns zu fragen: Was will ich tun? Beten, aber auch gut beten. (...)"
(Auszug aus einer Predigt von Prof. Dr. Georg May, "Herr, lehre uns beten!")
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