Wie sanft, o Herr, ist deines Geistes Wehen,
Der lieblich in die Herzen dringt.
Und nichts kann seiner Sanftmut widerstehen,
Die selbst das Stärkste sanft bezwingt.
1. Die christliche Sanftmut ist keine Tugend aus Temperament. Sie gehört zu den stärksten Tugenden, denn sie ist die Frucht einer, durch schwere Leiden und Beleidigungen bewährten Geduld, einer tiefen Demut, die aller Betrachtung sich wert hält, einer beständigen Abtötung der Leidenschaften, die sie der Vernunft und der Gnade so gänzlich unterworfen hält, dass sie ihnen nicht die mindeste ungeordnete Regung gestattet. Diese heldenmütige Tugend ist das sichtbarste Zeichen, dass die Fülle des Geistes Jesu Christi einem Herzen innewohnt. Darum ist sie auch nur den Vollkommenen eigen, und wer sie besitzt, besitzt mit ihr alle übrigen Tugenden zugleich.
2. Dies war die Sanftmut des großen heiligen Franz von Sales. Nicht angeboren war ihm diese Tugend, denn er war von Natur sehr heftig. Aber durch unablässige Selbstüberwindung brachte er es bis dahin, dass alle, die ihn kannten, von ihm bezeugten, er sei ein lebendiges Bild der Sanftmut Jesu Christi gewesen. Mit dieser heiligen Tugend vereinte er eine feurige Gottesliebe, von der alle seine Schriften glühen, eine wunderbare Geduld in zahllosen Anfeindungen, Verleumdungen, Verfolgungen, die er eine Zeit der Ernte zu nennen pflegte, und einen Eifer, Seelen zu bekehren, in dem er Irrgläubige zu Tausenden in den Schoß der Kirche zurückführte. Die Sanftmut war bei ihm eigentlich nur der Glanz der heldenmütigen Tugenden, die seinem Herzen in reichlicher Fülle innewohnten.
3. Oft und schwer wurde er zum Zorn gereizt. Doch waren alle seine Antworten mit so großer Sanftmut und Liebe gewürzt, dass er nicht selten die boshaftesten Herzen rührte und besserte. Viele und große Wohltaten erzeigte er seinen grimmigsten Feinden. Als einst ein frecher Mensch die heftigsten Schmähungen ihm ins Angesicht sagte, und diejenigen, die um ihn waren, über sein sanftmütiges Stillschweigen bei so groben Beleidigungen erstaunten, sprach er: "Hätte ich denn in einer Viertelstunde die wenige Sanftmut verlieren sollen, die ich durch zweiundzwanzig Jahre beständiger Anstrengung kaum erwerben konnte." Wunderbar ist dies Beispiel, das uns nicht nur beschämen, sondern auch zur Nachfolge aneifern soll, denn alles vermögen auch wir mit Gottes Gnade. "Mein Sohn, bewahre deine Seele in Sanftmut!" (Kohelet)
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