Eltern, die betont neumodisch sind und auch vielleicht mehr scheinen wollen als andere Leute, geben ihren Kindern zuweilen Namen, die in keinem Heiligenkalender zu finden sind, nennen sie Hasso oder Baldur oder Astra oder Edda oder Heide. Es sind einfachhin heidnische Namen, die mit dem christlichen Brauch, jedem Kind einen Heiligen als Namenspatron zu geben, nicht das geringste zu tun haben. So ähnlich erging es auch dem Heiligen vom heutigen Tag. Die Mutter Avellini war lieb und gut, aber sie konnte es nicht verhindern, dass der Vater, der ein Springindiewelt war, dem Kind den Namen Lanzelot gab, und Lanzelot war zu der damaligen Zeit ein berühmter Romanheld. Der arme Lanzelot Avellini, der von seinem Vater einen Romanhelden als Namenspatron erhielt!
Fast schien es, als ob der Name eine Vorbedeutung habe, denn als Lanzelot in das Alter eines Jugendlichen kam, entwickelte er sich zu einem gutaussehenden Mann. Für Lanzelot Avellini war es schon ein Glück, dass er innerlich ein sauberer Mensch war, der über die verdrehten Mädchenhälse und die zuckersüßen Mädchenblicke herzlich lachen konnte, und schließlich machte der junge Mann dem Getue dadurch ein Ende, dass er Priester wurde. Das soll allerdings nicht heißen, dass er mit der Priesterweihe auch gleich ein Heiliger war, denn das war er nicht.
Lanzelot Avellini, der neben der Gottesgelehrtheit auch die Rechtswissenschaft studiert hatte, liebte es, als Anwalt vor Gericht aufzutreten. Ruhm und Geld brachte ihm die Tätigkeit ein, und an Ruhm und Geld hing Avellini mit ganzer Seele. Wohl muss man es ihm gutschreiben, dass er manchen armen Teufel vor dem Gefängnis bewahrte, aber hin und wieder verteidigte er vor Gericht Dinge, die nicht ganz einwandfrei waren, und da geschah es eines Tages, dass ihm in einem Prozess eine dicke Unwahrheit über die Lippen flog. Bisher hatte er wohl pfiffig, nie aber unwahr die Verteidigung geführt, und als ihm die erste Lüge entfuhr, wurde er krebsrot im Gesicht bis über den Hals hinaus. Nein, lügen wollte er nun doch nicht, denn die Lüge macht den Menschen unehrenhaft.
Wie es jedem Lügner ergeht, so erging es damals auch dem Lanzelot Avellini, er wurde unruhig und verstört und dachte nur mehr daran, wie die Lüge wohl weiterlaufen und dann die Wahrheit an den Tag kommen werde, denn dass Lügen kurze Beine haben, war ihm bekannt. Über diese Gedanken verging der Tag, und es wurde Nacht. Lanzelot Avellini brütete ständig vor sich hin und fand keine Ruhe, aber schließlich – es ging schon auf die Mitternacht zu – musste er sich doch einmal zu Bett legen. Bevor er sich auskleidete, schlug er seiner Gewohnheit gemäß die Heilige Schrift auf, um einen kleinen Abschnitt daraus zu lesen. Alle Tage machte er es so, und als er es an diesem Tag der Lüge wieder tat, fiel sein Blick auf jene Stelle, wo es heißt: „Ein lügnerischer Mund tötet die Seele.“
Lanzelot Avellini las die Worte einmal, zweimal, dreimal, und dann sackte er ab wie einer, der vom Schlag getroffen wird. Die ganze Nacht blieb er auf den Knien liegen, und als der Morgen graute, ging er zur nächsten Kirche, um zu beichten. Gottes Gnade fügte es, dass er dabei an den rechten Beichtvater geriet, der ihm ernst ins Gewissen redete und ihn aufforderte, endlich mit allen Halbheiten Schluss zu machen, die Anwalterei aufzugeben und nur mehr Priester zu sein.
Gerade diesen Zuspruch brauchte Lanzelot im Augenblick, und des strengen Beichtvaters strenge Worte fielen bei ihm auf den besten Boden, um bald die besten Früchte zu zeitigen, denn Avellini wurde ein Priester nach dem Herzen Gottes, ein eifriger Prediger, Beichtvater und Caritasapostel und ein Beter und Büßer. Mit sechsunddreißig Jahren ging er ins Kloster, legte den Namen Lanzelot ab und nannte sich fortan Pater Andreas. Auch machte er das schwierige Gelöbnis, täglich in den Tugenden Fortschritte zu machen, und weil es ihm ernst war mit dem Gelübde, konnte es nicht ausbleiben, dass er in den vierzig Lebensjahren, die ihm noch vergönnt waren, zu großer Heiligkeit emporstieg.
So groß war die Heiligkeit in ihm, dass sie zuweilen wie Licht von ihm ausstrahlte. Als er einmal in pechschwarzer Nacht mit dem Messner von einem Versehgang heimkehrte, ging von seiner Person ein Glanz aus, der die Finsternis verscheuchte. Übrigens geht dieses Licht unsichtbarerweise von allen guten Menschen aus. Nur die Engel sehen es und der Himmelsvater, die sich darüber freuen.
Schön war schließlich auch der Tod des achtzigjährigen Heiligen. Am 10. November 1608 trat er in der Frühe an den Altar, um das heilige Opfer zu feiern, begann das Staffelgebet mit den bekannten Worten: „Zum Altare Gottes will ich treten“, stockte, wiederholte die Worte, stockte noch einmal, sprach sie zum dritten Mal, und dann traf ihn der Schlag, und er ging hinüber zu Gott, der ihn mit ewiger Jugend erfreut. Wegen des schönen Heimgangs wird der Tagesheilige als Patron gegen einen unversehenen Tod angerufen.
Liebe Grüße, Blasius