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31. Mai Selige Kamilla Battista Varano, Klarissin (Das Leiden Christi)

in Unsere Fürsprecher 31.05.2019 11:06
von Blasius • 3.822 Beiträge




Selige Kamilla Battista Varano, Klarissin

(Das Leiden Christi)


Bei Gran in Ungarn steht auf einem kleinen Berg eine Kirche, und auf dem Weg zu dieser Kirche hinauf sind Kapellen, in welchen die Stationen des Leidens Christi angebracht sind. Die Figuren sind groß in Stein ausgehauen und mit Farben angemalt, so daß es einen lebhaften Anblick gewährt. Da ich einmal langsam diesen Weg hinauf ging, kam ganz allein auch langsam gehend ein Lamm den Weg herab; und blieb dann vor einer Kapelle stehen und schaute, gleichsam wie betrachten, eine Weile hinein. Es machte einen rührenden Eindruck auf mich, zu sehen, wie das Lamm, das Sinnbild des leidenden Heilandes, vor dem andern Bild des leidenden Heilandes in der Stationskapelle stehen blieb, als wolle davor seine Andacht verrichten. – Die Geschichte der seligen Kamilla hat mich wieder an dieses einfache Begegnis erinnert; denn sie ist gleichsam auch ein Lamm, ein Abbild des leidenden Heilandes geworden, und zwar durch das fortwährende Betrachten seines Leidens. Kamilla hat selbst die Geschichte ihres Lebens geschrieben; ich will sie daher selbst reden lassen.

„Ich war als Kind von 8 oder 10 Jahren in einer Predigt; es war Karfreitag und der Prediger schilderte sehr lebhaft das Leiden Christi. Am Schluß der Predigt ermahnte und beschwor er die Zuhörer alle auf das Inständigste, es möge doch Jeder wenigstens allemal am Freitag des Leidens Christi gedenken und aus Liebe zu ihm doch eine kleine Träne vergießen; solches sei Gott angenehmer und der Seele nützlicher, als irgend ein gutes Werk. Diese Predigt und Aufforderung machte auf mich einen solchen Eindruck, daß ich später ein Gelübde machte, an jedem Freitag eine Träne zu weinen aus Liebe zum Leiden Christi. Zuerst machte mir dieses viel Mühe; und wenn ich mit Not eine Träne hervor gebracht hatte, so lief ich fort, ohne eine zweite abzuwarten. Später gestand ich einem Beichtvater mein Gelübde; dieser machte mich verbindlich, es stets zu halten, jedoch mit dem, daß es mir keine Sünde sein solle, wenn ich es manchmal nicht zu Stande bringe.
Indem ich noch lange Zeit mühsam in dieser Übung fortfuhr, fiel mir ein Büchlein in die Hand, in welchem Betrachtungen über das Leiden Christi waren, in 15 Stationen abgeteilt. Ich entschloß mich nun jedesmal am Freitag vor dem Kruzifix kniend diese Stationen andächtig zu beten, und bei einer jeden derselben eine Träne zu vergießen. Solches gelang mir jetzt durch die Gnade Gottes viel besser, so daß ich viel reichlicher als früher dabei weinen konnte. Einmal, da ich bis Mitternacht am Freitag arbeiten musste, kam ich in schwere Versuchung, für diesmal meine Übung zu unterlassen; ich ermannte mich aber und machte doch noch meine Betrachtung, wodurch, wie es sich später zeigte, ich einer großen Gefahr entging.
Allmählich fand ich einen solchen Genuss an dieser Betrachtung, daß ich mich entschloß, dieselbe in Zukunft nicht bloß an Freitagen, sondern jeden Tag vorzunehmen und zwar so lange darin zu verharren, als es der Geist gewährte. Bei dieser Andacht zum Leiden Christi wurde ich mit reichlichen Tränen begnadigt; so daß ich mich derselben nicht enthalten konnte, wenn auch andere Personen im Zimmer waren. Manchmal musste ich deshalb ärgerliche Bemerkungen hören, allein ich kehrte den Schmähenden den Rücken und die Seele Gott zu. So ging es drei Jahre lang fort. In dieser Zeit fastete ich an Freitagen auch bei Wasser und Brot, hütete mich sorgfältig vor einigen meiner Gewohnheits-Fehler, stand in der Nacht vom Bett auf um den Rosenkranz zu beten, desgleichen geißelte ich mich an Freitagen. Aber alle diese Übungen nahm ich nicht bloß vor, um im andern Leben, sondern vielmehr um in diesem glücklich zu sein. Mein Herz war noch ganz geteilt zwischen Gott und der Welt. Sobald ich nämlich mit oben erwähnter Andacht und Übung fertig war, ergab ich mich wieder allem jugendlichen Leichtsinn; ich hatte Freude an hübschen Kleidern, unterhaltenden weltlichen Büchern, vergnügte mich mit Tanzen, Singen und Spazierengehen usw.“ (siehe Fortsetzung ihrer Lebensgeschichte: Leidensbetrachtungen der seligen Kamilla)

Es gibt unter allen religiösen Betrachtungen keine, welche einem Christen mehr geziemt und ihm nützlicher wäre, als die Betrachtung des Leidens Christi. (siehe dazu den Beitrag: Anleitung zur Betrachtung der Passion Christi) Schon die Dankbarkeit fordert, daß wir oft und ernstlich betrachten, welche Not an Leib und Seele unser höchster Wohltäter, unser göttlicher Bruder für uns gelitten hat. Sein Kreuz ist aber auch die wahre Himmelsleiter, und an dieser Leiter steigt die Seele in die Höhe Gott entgegen, so oft du mit wahrer, inniger Andacht das Leiden Christi betrachtest. In dieser Betrachtung reinigt sich sich nämlich deine Seele durch Reue von ihren Sünden, sie faßt mehr Liebe und Treue zu ihrem Heiland, sie wird demütiger, geduldiger, enthaltsamer und überhaupt fähiger einmal in den Himmel einzugehen. Ich fordere dich daher recht ernstlich dazu auf, entschließe dich heute von nun an täglich etwas vom Leiden Christi zu betrachten. Geht es dir anfänglich noch nicht leicht von Statten, so lies täglich ein Gesetzchen von den Stationen (siehe den Beitrag: Andacht zum leidenden Herzen Jesu) und mache dir deine Gedanken darüber; und kannst du nicht eine kleine Zeit im Tag einsam und still dich deiner Betrachtung hingeben, so tue es unter der Arbeit, statt in müßigen Gedanken und nutzlosen Gesprächen die Zeit für die Seele zu verlieren. Jede Betrachtung dieser Art ist ein gefundenes Goldkörnchen für deine Seele, je länger und inniger du dich in diese Betrachtung versenkst, desto gewichtiger und wertvoller ist dein Fund. Laß keinen Tag vergehen von jetzt an, ohne einen solchen Erwerb und Gewinn.

Das Leben der sel. Kamilla war ein langer Stationsweg, auf welchem ihr Hauptgeschäft war in die schweren Leiden Christi sich zu versenken. Und dieser Kreuzweg hat sie auf eine große Höhe der Vollkommenheit geführt. Kamilla wurde so demütig, daß sie Gott inständig bat, er möge doch alle die besonderen Gnaden lieber einer andern besseren Seele zuwenden, welche ihm mehr Dank und Ehre dafür brächte. Sie begehrte von Gott keine Art von Offenbarungen, als eine recht tiefe Kenntnis Gottes und der Armseligkeit ihrer eigenen Seele. Sie bemerkte es höchst ungern, wenn sie von Jemanden ganz besonders geliebt wurde, weil sie besorgte, es könnte dadurch der Liebe zu Gott etwas entzogen werden. Um Christus nachzuahmen, der arm geworden um uns reich zu machen, war Kamilla höchst gütig und wohlwollend gegen Andere und streng und hart gegen sich selbst; manchmal wenn die Obern ihr etwas geben wollten, nahm sie es nicht an und bat, es einem Bedürftigen zu geben. Über ihren Nebenmenschen redete sie niemals ein böses Wort; sie war gleichsam blind in Rücksicht der Fehler ihrer Nebenmenschen; wollte ihr Jemand Übles von Andern hinterbringen, so suchte sie ihn durch ein unfreundliches mißmutiges Gesicht davon abzuschrecken. Die Feinde liebte sie so sehr, daß sie es für ein besonders großes Vergnügen ansah, wenn sie denselben durch Wort oder Tat etwas Angenehmes erweisen konnte, und daß sie von ganzem Herzen für jene betete. Den vollkommenen Gehorsam gegen ihre Obern sah sie für das liebste Opfer an, das man Gott bringen könnte. Ihre vollendete Armut bestand darin, daß sie durchaus von irdischen Dingen nichts wollte, der gekreuzigte Heiland war ihr alles und das einzige, was sie suchte.

Kamilla war aus der vornehmen reichen Familie Varano enstrossen; dennoch wählte sie den Orden der Klarissinen, welche in größerer Armut und Strenge leben, als die meisten übrigen Orden. In dem Kloster zu Camerino (im Kirchenstaat) starb sie als Äbtissin. Im Jahre 1593, sechsundsechzig Jahre nach ihrem Tod, wurde ihr Leichnam ausgegraben; ein großer Wohlgeruch verbreitete sich bei Öffnung des Grabes, und während der übrige Leib in Verwesung übergegangen war, zeigte sich ihre Zunge so unversehrt rot und weich, wie bei einem lebendigen gesunden Menschen. Über diesen Anblick brach der Beichtvater des Klosters in die Worte aus, die einmal der hl. Bonaventura sprach, als er die unversehrte Zunge des hl. Antonius von Padua betrachtet hatte: „O preiswürdige Zunge, die du immer Gott gepriesen und Andere preisen gelehrt hast! Jetzt ist es offenbar zu sehen, wie groß deine Ergebenheit gegen Gott gewesen ist.“ –
aus: Alban Stolz, Legende oder der christliche Sternhimmel, Bd. 2 April bis Juni, 1872, S.297-298; S. 303

Liebe Grüße, Blasius

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RE: 31. Mai Selige Kamilla Battista Varano, Klarissin (Das Leiden Christi)

in Unsere Fürsprecher 31.05.2019 13:06
von Blasius • 3.822 Beiträge

ERGÄNZUNG:

Leidensbetrachtungen der seligen Kamilla Battista Varano, Klarissin

„Nun geschah es durch Gottes Fügung, daß ich in der Fastenzeit einen Prediger hörte, der mit großer Gewalt bei den Zuhörern die Furcht Gottes zu erwecken wußte. Ich wurde davon so ergriffen, daß ich in Betracht meiner Sünden beinahe verzweifelt wäre, wenn ich nicht anderseits bedacht hätte, daß Gott von allen Sünden am meisten die Verzweiflung an seiner Barmherzigkeit mißfalle. Ich weinte Tag und nacht vor Reue und verdoppelte meine Andacht, so daß ich jeden Tag zweimal das Leiden Christi betrachtete, am Freitag nur einige Bissen Brot zu mir nahm und ohne ins Bett zu gehen nur sehr wenig schlief. Da bekam ich innerliche Einsprechungen, ich sollte das Weltleben aufgeben, wenn ich nicht verdammt werden wolle. So bitter diese Aufforderung auch meinem Herzen vorkam, so hörte sie doch nicht auf und ließ mir keine Ruhe; aber dennoch brachte ich es nicht über mich, der Welt und ihren Freuden zu entsagen. Die Gnade Gottes klopfte aber fortwährend an der Türe meines Herzens – teils durch manche Worte des Predigers, welche besondern Eindruck auf mich machten, teils durch innerliche Einsprechungen. Ja, diese wurden zuletzt gleichsam so zudringlich, da ich immer noch nicht folgen wollte, daß ich manchmal die Ohren zuhielt; allein vergeblich – denn die Stimme war nicht eine körperliche, sondern eine geistige. Einmal nun, da ich an einem Freitag wieder einen solchen heftigen Kampf innerlich durchmachte, daß mir der Schweiß ausbrach, so kam es durch die Gnade Gottes endlich zum Durchbruch. Ich entschloss mich mit aller Kraft der Seele von nun an Gott zu dienen, und lieber den Märtyrertod zu leiden, als von diesem Entschluss mehr abzugehen. Wie einem abgemühten Körper die Ruhe am süßesten ist, so kam auch in meine Seele Ruhe, Friede und unendliche Freude, nachdem ich mich entschlossen hatte, mich zu ergeben. Als ich dann in das Kloster zu Urbino wirklich eintrat, wurde meine Seele mit höchster Freude erfüllt, während es mir früher unendlich schwer geschienen hat, auf die Welt zu verzichten. Ich wechselte nun nach Ordensgebrauch meinen Namen und hieß von nun an Baptista.

Im Kloster selbst bat ich den Herrn von ganzem Herzen, daß er mich speisen möge mit dem Bittersten und Schärfsten von seinem heiligen Leiden. Ich nahm mir vor alle der Andacht bestimmte Zeit auf die Betrachtung des Leidens Christi zu verwenden, und mich mit der Kraft und dem Ungestüm meines ganzen Geistes in das bitterste Meer der Leiden zu stürzen. Wovon das Herz Jesu Christi erfüllt wurde. Und die Gnade des heiligen Geistes führte mich auch in die Bitterkeiten des Herzens Jesu ein, daß meine Seele darin oft ganz unterging wie in einer Hölle; dennoch erkannte ich, daß meine Empfindung davon gegen das, was Jesu herz wirklich empfunden hat, nur wie ein Sandkörnchen gegen die ganze Welt sei. So wurde meine Seele getauft in Wasser und Feuer, im Wasser der Tränen und im Feuer der glühenden Liebe.

In meinen Leidensbetrachtungen wünschte ich, daß alle Tage meines Lebens verwandelt würden in einen Karfreitag, indem ich begehrte stets zu trauern über das bitterste Leiden meines Herrn, damit er mir in der Todesstunde als auferstanden und verherrlicht erschiene. Von dieser Zeit an machte ich keinen Unterschied an Ostern oder Weihnachten oder sonst irgend einem Fest; an allen diesen Tagen versenkte ich mich gleichmäßig in das Leiden Christi, wie am Karfreitag.

Einmal wurde mir plötzlich während des Gebetes befohlen, ich solle die Geistesschmerzen im Leiden Christi, welche ich erkannt habe, niederschreiben. Ich fühlte darüber eine große Bangigkeit; der Gedanke beängstigte mich, als spräche der Herr damit das Urteil: „Speie all` mein Gutes aus deinem Mund, weil ich dich ausspeien will aus meinem Mund.“ Auch meinte ich nicht im Stande zu sein solches zu schreiben. Doch der Herr gab mir seine Hilfe; während ich nämlich in Betrachtung versunken war über Jesus Christus, wie er im Garten betet und Blutschweiß vergießt, so erkannte ich, daß damals sein Leiden auf der Mittagshöhe stand und er seine geistigen Schmerzen heftiger empfand, als in seinem ganzen übrigen Leben auf Erden. Er offenbarte mir nun darüber Folgendes:

Jesus spricht zur seligen Kamilla über seinen Schmerz

„Mein Schmerz war so groß, wie die Liebe, welche ich zu Gott und den Menschen trug. Die Strafen, welche ich im Herzen trug, sind zahllos und unendlich gewesen; denn zahllos sind die Seelen, meine Glieder, welche sich selbst durch Todsünde von mir, dem Leben und ihrem Haupt los schnitten. Bedenke aber meine Marter, da mir so viele Glieder abgerissen wurden, als Seelen verdammt werden! Nun aber ist das Abreißen eines geistigen Gliedes unendlich schmerzhafter, als das Abreißen eines körperlichen Gliedes, gleichwie die Seele unendlich kostbarer ist als der Leib. Deswegen kannst weder du noch irgend ein Geschöpf die Herbheit und die Schärfe meiner Strafen begreifen. Besonders grimmig ist aber die Strafe auch dadurch, daß jene zur Verdammung abgerissenen Seelen niemals mit mir, ihrem ursprünglichen Haupt, vereinigt werden. Dieses „niemals, niemals“ hat meine Seele so geschmerzt, daß ich gern alle andern Schmerzen noch vielmal, ja unendlich vielmal tragen wollte, wenn ich auch nur eine einzige jener zur Verdammung verlorenen Seelen wieder mit mir vereinigen könnte.

Ein anderer Schmerz, welcher mir das Herz durchbohrte, kam von meinen auserwählten Gliedern. Die Verdammten schmerzten im höchsten Grade bei Abreißen von mir, nachher schmerzten sie wohl auch, aber nicht mehr unmittelbar, ungefähr wie man etwa ein vom eigenen Leib schon los geschnittenes Glied mit Bedauern betrachtet, wenn es vom oder von einem Tier verzehrt wird. Hingegen die Auserwählten sind meine lebendigen an mir haftenden Glieder, deshalb fühlte ich die Martern aller Märtyrer, die Büßungen aller Büßenden, die Versuchungen aller Versuchten, die Krankheiten aller Kranken, die Verfolgungen, die Beschimpfungen, endlich alle Widerwärtigkeiten, kleine und große, sämtlicher Auserwählten, so lebhaft wie du es fühlen würdest, wenn dir ein Aug` oder eine Hand durchstochen würde. Nun bedenke aber die Zahl der Märtyrer und aller Auserwählten, und bedenke die zahllosen und mannigfaltigen Leiden derselben – alle diese habe ich zugleich empfunden. Desgleichen habe ich gefühlt sämtliche Schmerzen aller Seelen im Fegefeuer, weil sie meine lebendigen, geistig mit mir vereinigten Glieder sind, wie du es fühlen würdest, wenn der Chirurg dir ein krankes Glied brennen oder schneiden würde, um es zu heilen.

Aber noch andere höchst bittere Strafen sind übrig; vor Allem jenes scharfe Schwert, das meine Seele durchdrang, nämlich der Schmerz meiner unschuldigen Mutter, welche wegen meines Leidens und Todes mehr ausgestanden hat, als irgend eine Person in der Welt; denn sie hat durch ihre Liebe zu mir Alles gelitten, was sie mich leiden sah. Es wäre mir eine Erleichterung und Trost gewesen, wenn alle ihre Schmerzen ihr hinweg genommen und auf mich allein übertragen worden wären; so sehr quälte mich ihr schmerz! – Ein anderer Schmerz, der meine Seele zerschnitt, war das Andenken an meine Jünger. Ich sah alle Martern und Peinen, welche sie meinetwegen und aus Liebe zu mir leiden mussten. Wisse aber, daß noch nie ein Vater seine Söhne, ein Bruder seine Geschwister, ein Lehrer seine Schüler so innig und herzlich geleibt hat, wie ich meine geliebtesten Brüder und Schüler, meine gesegneten Apostel. Denn obschon ich alle Geschöpfe immer mit unendlicher Liebe geleibt habe, so hatte ich doch eine eigentümliche und besondere Liebe gegen die, mit welchen ich persönlich in Verkehr gewesen war; deswegen hatte ich auch ihretwegen einen eigenen und besonderen Schmerz. Ich sah, wie der eine wegen der Liebe zu mit gekreuzigt worden, der andere enthauptet, einem andern die Haut abgezogen, und überhaupt alle durch verschiedene Martern das Leben lassen mussten. Nun denke dir, welch einen Schmerz es dir verursachen würde, wenn eine Person, welche eine heilige Liebe zu dir trägt, deshalb, also deinetwegen, Schimpf und Kränkungen tragen müsste. Ich aber bin meinen Jüngern nicht nur Ursache von Beschimpfungen gewesen, sondern auch des Todes. Im Schmerz darüber habe ich mehr ihret- als meinetwegen jenes bittere traurige Wort gesprochen: „Meine Seele ist betrübt bis zum Tod“, und alle Worte meiner Abschiedsrede gingen aus dem Grund meines Herzens hervor, welches mir damals vor Liebe und Schmerz gleichsam in der Brust zerspringen wollte.

Ein anderer Schmerz, der mir fortwährend im Herzen bohrte, war wie wie Messer mit drei scharfen vergifteten Spitzen, nämlich die Falschheit und der Undank meines geliebten Schülers und zugleich ruchlosen Verräters Judas – die Herzenshärtigkeit und Verkehrtheit meines auserwählten Volkes – und die boshafte Blindheit und der Undank aller Menschen, die waren, sind und sein werden. Je mehr ich dem Judas Zeichen besonderer Liebe gab, um ihn von seinem schlechten Vorsatz abzubringen, desto schlechter wurde seine Gesinnung gegen mich. Mit tiefem Kummer wühlte dieses Bewusstsein in meinem Herzen; und als ich bei der Fußwaschung an Judas kam, da zerschmolz mein Herz in innigstes Weh, und aus meinen Augen brach eine Quelle von Tränen hervor und ergoß sich über seine befleckten Füße, indem ich im Herzen sprach: „O Judas! Was habe ich dir getan, daß du mich so grausam verratest? – O Judas! Wenn du dreißig Silberlinge begehrst, warum gehst du nicht zu meiner Mutter, die sich ja gern selbst zur Sklavin verkaufen würde, um dich von der Gefahr und mich von dem Tod zu retten? – Undankbarer Jünger, ich wasche und küsse dir die Füße mit so großer Liebe; du aber wirst mein Angesicht küssen mit Verübung des Verrates! Ach, wie übel vergiltst du mir, der ich mehr dein Verderben beklage, als mein eigen Leiden und Tod, denn deshalb bin ich gekommen!“

Judas bemerkte nichts von meinen Tränen, weil ich vor ihm mit geneigtem Haupt kniete, und weil die herabfallenden Haare mein tränennasses Angesicht vor ihm bedeckten; aber Johannes bemerkte es und auch den Kuss, welchen ich als letztes Liebeszeichen auf die Füße des ewig sterbenden Judas drückte, wie ein Vater dem sterbenden Sohn einen letzten Liebesdienst zu erweisen verlangt. Als ich später zu Johannes kam, umfaßte er vorgebeugt mit heftigen Tränen eine Weile meinen Hals und sprach ohne Laut nur mit der Stimme des Herzens: „Mein geliebter Herr und Meister und Gott, wie konntest du mit deinem heiligsten Mund die verfluchten Füße küssen jenes verräterischen Hundes; willst du mir jetzt das Herz zerspringen machen, indem du auch meine unreinen Füße waschest und küssest? O mein Gott, diese neuen Erweise deiner Liebe sind mir nur Quellen größeren Schmerzes!“ So und noch Manches, was auch ein steinernes Herz hätte erweichen können, sprach Johannes mit inniger Zartheit.“

Der Herr spricht nun ferner noch von dem großen Schmerz, der ihm die Härte und der Undank des jüdischen Volkes verursacht habe, besonders da es mit großer Wut seine Kreuzigung verlangte. Kamilla hingegen sprach: „Mein Herr, offenbare mir nicht den Schmerz, womit erst der Undank aller Menschen dich durchdrungen hat, weil ich ihn schon aus meinem eigenen Undank zum Teil ahne; ich erstaune über deine Liebe und Geduld, welche du gegen uns undankbare Geschöpfe tragest. So wenig die zahllosen Dinge ausgesprochen werden können, welche du im Himmel, auf Erden, im Wasser und in allen Elementen für die undankbaren Menschen erschaffen hast, so wenig kann begriffen werden die Größe und Schärfe des bittersten Pfeiles, womit unser Undank dir das Herz durchstochen. Denn wie kein Monat, kein Tag, keine Stunde, kein Augenblick vergeht, wo wir nicht deiner Wohltaten genießen, so vergeht auch kein Augenblick, wo wir nicht mit unendlichem Undank dir vergelten. Und das waren von den herbsten Trübsalen, womit dein Herz, mein Jesus, bedrängt wurde!“ – So weit Kamilla. –

aus: Alban Stolz, Legende oder der christliche Sternhimmel, Bd. 2 April bis Juni, 1872, S. 298-303

Liebe Grüße, Blasius

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