Liebe Mitleserinnen und Mitleser,
diese Worte sind der göttlichen Wahrheit sehr nahe:
Zitat:
Die Tugend der Demut
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Die Orationen der heutigen heiligen Messe drehen sich darum, daß das, was wir in der österlichen Feier begangen haben, im Leben und in den Sitten wirksam bleiben möge. Das ist ein allgemeines Gesetz im Christentum: Was ontologisch, im Sein von Gott geschenkt wurde, das muß ethisch, im Leben bewährt werden. Wir müssen also in der Kraft der österlichen Begnadung Tugenden entwickeln, Fertigkeiten im Guten, die Kunde geben von dem, was Gott in uns gewirkt hat. Zu diesem Zweck wollen wir heute und an den kommenden Sonntagen uns mit den Haupttugenden des christlichen Lebens befassen.
An erster Stelle wollen wir uns heute der Demut widmen. Diese Tugend ist erst mit dem Christentum in die Welt gekommen. Die vorchristliche, aber auch die nachchristliche Welt will von Demut nichts wissen. Sie zeigt trotzige Selbstbehauptung und arrogantes Selbstbewußtsein, nicht aber Demut. Demut ist die freiwillige Selbsterniedrigung wegen der erkannten eigenen Schwächen. Sie besteht aus zwei Komponenten, einmal aus der Erkenntnis des Verstandes, daß der Mensch hinfällig und schwach ist, und aus der Erziehung des Willens, die aus dieser Erkenntnis die Folgerungen zieht und sich dementsprechend verhält.
Christus hat diese Tugend mehr als einmal empfohlen. „Lernet von mir, denn ich bin sanftmütig und demütig von Herzen!“ Diese Demut hat er in seinem ganzen Leben gezeigt, von der Menschwerdung bis zur Kreuzigung. Seine Jünger hat er auf diese Tugend verwiesen. „Wenn ihr nicht werdet wie Kinder, werdet ihr nicht in das Himmelreich eingehen. Wer sich verdemütigt wie dieses Kind, der ist der Größte im Himmelreich.“
Um diese Tugend zu durchleuchten, wollen wir drei Fragen stellen und sie zu beantworten versuchen.
1. Wie erlangt man Demut?
2. Wie verhält sich der Demütige?
3. Was hat der Demütige zu erwarten?
Erstens: Wie erlangt man Demut? Man erlangt Demut, indem man Gottes Majestät und die eigene Nichtigkeit betrachtet. Gottes Majestät leuchtet uns aus seiner Schöpfung entgegen. Wenn wir den gestirnten Himmel über uns und das moralische Gesetz in uns betrachten, um mit Immanuel Kant zu sprechen, dann erfahren wir etwas von der Majestät Gottes, der all das wunderbar erschaffen hat. Er hat die unbelebte und er hat die belebte Welt geschaffen; er hat uns nach Leib und Seele, wenn auch durch Zwischenursachen, hervorgebracht und erhält uns im Dasein. „Was ist der Mensch, daß du seiner gedenkst! Wenn ich den Himmel betrachte, das Werk deiner Hände, die Gestirne, die du mit deinem Finger gemacht hast: Was ist der Mensch, daß du seiner gedenkst!“
Auch die Vergänglichkeit unseres Lebens und alles Geschaffenen kann uns zur Demut führen. Vergänglich ist alles auf dieser Erde. Das Vermögen – Wie rasch ist es vernichtet und wie schnell ist es aufgezehrt von einer Inflation! Die Ehre, die uns Menschen geben – Worte! Heute rufen sie „Hosianna!“ und morgen schreien sie „Crucifige!“ Die körperliche Gestalt – Der Mensch ist Krankheiten und dem Tode unterworfen, wie schnell weicht die Schönheit und die Gesundheit! Auch auf die Gnade und die guten Werke können wir uns nichts einbilden, denn sie sind Geschenke Gottes. Unsere Verdienste sind Gottes Gabe. Und die Gnaden, die wir von Gott empfangen, begründen auch unsere Pflicht zur Rechenschaft. Denn einst werden wir Rechenschaft ablegen müssen für all die Gnaden, die Gott uns geschenkt hat und die wir selbst erbetet und erfleht haben. Es besteht also kein Anlaß, sich etwas einzubilden. Die Vergänglichkeit alles Irdischen predigt die Demut.
Die zweite Frage lautet: Wie verhält sich der Demütige? Erstens: Er liebt die Erniedrigung. Er liebt die Erniedrigung! Daß uns Erniedrigungen treffen, ist ja wohl unvermeidlich, aber daß man dann nicht trotzig oder wild wird, sondern sich in die Erniedrigung schickt, das ist ein Zeichen der Demut. Der Demütige liebt die Erniedrigung, er erniedrigt sich selbst, er sucht sich nicht die ersten Plätze an der Tafel oder im Saale aus, er will nicht Ehrenzeichen und Auszeichnungen erlangen, sondern er ist zufrieden, wenn er am letzten Platze steht. Er liebt die Erniedrigung. Er hängt sein Herz – das ist das zweite – nicht an irdische, an vergängliche Dinge. Gerade weil er die Nichtigkeit des Irdischen durchschaut, vertraut er nicht auf die irdischen Schätze, die Rost und Motten verzehren. Er weiß, daß diese Dinge ihm eine Gefahr sein können für das ewige Leben, daß Reichtum, Ehrungen und all die irdischen Freuden, die es nun einmal gibt, ihn von der Sorge für die Gewinnung des ewigen Lebens abbringen können, denn allzu leicht hält sich der Mensch an das Vordergründige und vergißt das Bleibende. Der Demütige vertraut – drittens – auf Gott. Er weiß: Alles, was ihm zufällt, kommt von Gott. Alle Kraft, aller Mut, alle Tüchtigkeit ist ihm geschenkt, und weil er auf Gott vertraut, deswegen fürchtet er nicht die Menschen. Was Menschen ihm antun können, das ist für ihn nicht zum Fürchten, etwa Demütigungen. Die Demütigungen, die Menschen ihm bereiten können, liebt er ja. Deswegen ist der Demütige ein unerschütterlicher Mensch. Er läuft nicht dem Beifall nach, er sucht nicht durch Nach-dem-Munde-Reden die Lobsprüche der Welt zu gewinnen, sondern wenn ihn Verachtung, wenn ihn Zurücksetzung, wenn ihn Boykott und Diffamierung treffen, so freut er sich darüber und ist Gott dankbar, daß er ihn gewürdigt hat, mit ihm seine Schmach zu teilen. So verhält sich der Demütige.
Drittens: Was hat der Demütige zu erwarten? Wozu führt die Demut den Menschen? Die Demut und nur sie führt ihn zur Vollkommenheit. Es gibt keine Vollkommenheit ohne Demut. Heiligkeit hat immer als erste Tugend die Demut in ihrem Gefolge. Der heilige Philipp Neri wurde einmal vom Papst zu einer Nonne, zu einer Klosterfrau geschickt, die im Rufe der Heiligkeit stand. Philipp Neri machte sich auf den Weg, zu Fuß, wie es damals im 16. Jahrhundert üblich war. Er begab sich zu der Klosterfrau und forderte sie auf, seine verschmutzten Stiefel zu reinigen. Sie wies das Ansinnen empört ab. Auf dem Absatz drehte sich Philipp Neri um und erklärte dem Papst: „Die ist keine Heilige, denn sie besitzt keine Demut.“
Die Demut führt auch zur Erhöhung. „Angeschaut hat der Herr die Niedrigkeit seiner Magd. Siehe, von nun an werden mich seligpreisen alle Geschlechter.“ So hat Maria, die demütige Jungfrau, gesungen. Ja wahrhaftig, wer sich nicht um seine Ehre kümmert, wer Ehre und Unehre Gott überläßt, für den sorgt Gott, und er wird den Demütigen erhöhen, wenn nicht auf dieser Erde, dann im Jenseits. Aber der Demütige wird in jedem Falle erhöht. „Wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.“ So hat der Herr verheißen. Das ist eine seiner Verheißungen, von denen wir ja immer in den Litaneien beten, daß wir würdig werden mögen seiner Verheißungen. Wir werden ihrer würdig, wenn wir uns selbst erniedrigen, freilich nicht in einer buckligen Demut. Es gibt auch eine falsche Verdemütigung, eine gesuchte, eine unechte; etwa, wenn man von seinem eigenen Fehler fortwährend spricht und sich als den größten Sünder bezeichnet. Dahinter steckt oft Hoffart, Angeberei, die lauernde Erwartung, der Gesprächspartner werde einem das Gegenteil versichern. Nein, der Demütige redet von sich überhaupt nicht ohne Notwendigkeit, weder gut noch schlecht. Er handelt so, daß seine Person überhaupt nicht in Frage kommt. Der Demütige findet Seelenfrieden. „Lernet von mir, denn ich bin sanftmütig und demütig von Herzen, dann werdet ihr Ruhe finden für euere Seele.“ Natürlich, wer nicht dem Ruhm und dem Beifall nachjagt, der ist ruhig und bleibt ruhig, den kann nichts mehr erschüttern, den erfüllt eine unerschütterliche Ruhe, weil er nicht mit lechzender Zunge den Lobsprüchen und den Preisen und den Anerkennungen der Menschen nachjagt. „Ihr werdet Ruhe finden für euere Seele!“
Der Demütige findet auch schnell Verzeihung seiner Sünden. Erinnern wir uns an den Zöllner, der im Tempel hinten stehen blieb und an seine Brust klopfte: „Herr, sei mir Sünder gnädig!“ Er ging gerechtfertigt nach Hause. Ein einziger Akt der Reue, einer tiefen, echten, ehrlichen, demütigen Reue hat ihm die Verzeihung seiner Sünden beschert.
Und endlich gewinnt der Demütige ewiges Leben. Der Herr verheißt denen, die arm im Geiste sind, das Himmelreich. Arm im Geiste heißt eben erkennen, daß man aus eigener Kraft nicht fähig ist, Großes zu schaffen, daß alles von Gott geschenkt werden muß, daß wir die Hände aufhalten müssen, damit er sie fülle. Arm im Geiste, das heißt demütig sein, und der Demütige gewinnt das Himmelreich.
Auch eine besondere Kenntnis der himmlischen Dinge ist dem Demütigen eigen. „Ich preise dich, Vater des Himmels und der Erde,“ heißt es im Matthäusevangelium, in dem sogenannten johanneischen Jubelruf des Herrn, „ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, daß du dieses vor Klugen und Weisen verborgen, Kleinen aber geoffenbart hast.“ Ja wahrhaftig, wer sich vor Gott klein macht, dem schenkt er die Erkenntnis heiliger Dinge. Das kann man oft feststellen, wie einfache Menschen, die aber demütig sind, eine wunderbare Erkenntnis in religiösen Fragen besitzen, viel mehr als vornehme, gebildete, die mit ihrem Geistes- und Wissensschatz imponieren wollen. Hirten waren es, demütige Hirten, denen der Engel die Botschaft brachte, nicht vornehme Schriftgelehrte und angesehene Pharisäer in der Hauptstadt Israels.
So ist also die Demut, meine lieben Freunde, eine der Grundtugenden, wenn nicht die Grundtugend des ganzen Tugendgebäudes. Wer zur Vollkommenheit strebt, muß sich um Demut bemühen. „Demut ist die freiwillige Selbsterniedrigung wegen der erkannten eigenen Schwächen.“ So hat der heilige Bonaventura diese Tugend definiert. Wir wollen uns daran halten. Wir wollen das, was wir im Ostergeschehen empfangen haben, sicher machen und schützen, bewähren und erhalten, indem wir uns um diese köstliche Tugend bemühen, die das Kennzeichen des katholischen Menschen ist.
Amen.
http://www.glaubenswahrheit.org/predigte.../1987/19870426/