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Wie viel Armut verträgt die katholische Kirche?
Wie viel Armut verträgt die katholische Kirche?
in Buchempfehlungen 24.10.2017 11:08von Blasius • 3.929 Beiträge
LITERATUR KARDINAL MÜLLER
Wie viel Armut verträgt die katholische Kirche?
Von Lucas Wiegelmann | Veröffentlicht am 01.05.2014
Waren die Kleider, die Jesus am Leibe trug, seine eigenen? Auch der Theologendisput, der in „Der Name der Rose“ (mit Sean Connery, links) stattfindet, dreht sich um das Verhältnis der Kirche zur Armut Waren die Kleider, die Jesus am Leibe trug, seine eigenen? Auch der Theologendisput, der in „Der Name der Rose“ (mit Sean Connery, links) stattfindet, dreht sich um das Verhältnis der Kirche zur Armut
Waren die Kleider, die Jesus am Leibe trug, seine eigenen? Auch der Theologendisput, der in „Der Name der Rose“ (mit Sean Connery, links) stattfindet,
dreht sich um das Verhältnis der Kirche zur Armut
Quelle: picture alliance / dpa/rh
Die Kirche hatte schon immer Probleme mit Armut. Nun hat Vatikan-Präfekt Gerhard Ludwig Müller ein Buch dazu geschrieben. Er erklärt, warum Christen mehr tun müssen, als sich aufs Jenseits zu freuen.
Keine der beiden Seiten, weder die päpstlichen Gesandten noch die Bettelmönche, hatten besonders große Hoffnung in den Disput gesetzt, aber jene erste Morgensitzung im November des Jahres 1327 verlief noch mieser als befürchtet.
Anfangs ließen sich die Unterhändler, schweigend beobachtet vom Bevollmächtigten der Heiligen Inquisition, wenigstens noch gegenseitig ausreden. Die Mönche legten gewohnt weitschweifig dar, warum Jesus und seine Jünger keinerlei Besitz gehabt hätten. Was die Papstdelegation in knappen Worten zurückwies. Aber vielleicht war es die frühe Stunde, vielleicht die allgemeine Aufregung im Kloster wegen der ungeklärten Todesfälle, jedenfalls wurde die Diskussion mit der Zeit immer hitziger. Bis beide Parteien nur noch brüllten.
„Wie, frage ich dich, erklärst du dir, dass Unser Herr, als er in Jerusalem weilte, jeden Abend nach Bethanien ging?“ – „Wenn Unser Herr es vorzog, in Bethanien zu schlafen, wer bist du, seine Entscheidung zu kritisieren?“ – „Du irrst dich, du alter Ziegenbock, Unser Herr ging nach Bethanien, weil er kein Geld hatte, um sich eine Herberge in Jerusalem zu leisten!“ Und so weiter. Überflüssig zu sagen, dass die Konferenz ergebnislos abgebrochen wurde.
Herausforderung für die Kirche
Der Theologendisput in der alten Benediktinerabtei an den Hängen des Apennin ist eine Erfindung. Er stammt aus Umberto Ecos „Der Name der Rose“. Und doch hat er tatsächlich stattgefunden. Nicht nur in Italien. Und nicht nur im 14. Jahrhundert. Wie arm Jesus war, wie arm dementsprechend seine Kirche sein muss und wie Gläubige mit der Armut anderer Menschen umgehen sollten, haben sich christliche Denker immer schon gefragt.
Jetzt hat auch der Präfekt der vatikanischen Glaubenskongregation, der deutsche Kardinal Gerhard Ludwig Müller, ein Buch dazu geschrieben. Es heißt „Armut“. Der Untertitel lautet „Die Herausforderung für den Glauben“. Man hätte aber auch „Herausforderung für die Kirche“ sagen können.
Armut ist für die Kirche neben Sex seit jeher das heikelste Thema überhaupt. Die Kirche versteht sich traditionell als Anwalt der Schwachen und Unterdrückten. Aber die entsprechenden Schlüsselstellen, „Liebe deinen Nächsten“, „Selig die Armen“ oder „Gebt ihr ihnen zu essen“, werden sonntags in den Kathedralen von hohen Herren mit dicken Ringen am Finger vorgelesen.
„Arme Kirche für die Armen“
Die Kennzeichen der Autos, die dem Vatikanstaat gehören, beginnen alle mit den Buchstaben SCV, für „Status Civitatis Vaticanae“.
In Rom ist es üblich, die Abkürzung im Spaß zu lesen als: „Se Cristo vedesse“ – wenn Christus das sähe.
Dass sich die, die eigentlich einem Wanderprediger nacheifern sollen, Paläste bauen, ist ein uralter Vorwurf. Neu ist aber, dass sich unter Papst Franziskus ausgerechnet der Vatikan an die Spitze der Armutsbewegung zu setzen scheint. Franziskus wünscht sich eine „arme Kirche für die Armen“. Das macht den Frontverlauf plötzlich unübersichtlich. Wovon sich unter anderem der ehemalige Bischof von Limburg überzeugen musste.
Nun beschäftigt sich mit Kardinal Müller also der nächste wichtige Vatikanvertreter mit der Armut. Aber um eine „arme Kirche“ geht es ihm nicht, sondern um die Armut der anderen. Er diskutiert die Frage, wie die Kirche die Welt besser machen kann. Und ob das überhaupt ihre Aufgabe ist.
Keine Ethik ohne Religion?
Müller geht davon aus, dass die Not der Menschen nicht dauerhaft gelindert werden kann ohne Gott, ohne religiös motivierte Ethik. Rein menschliche Versuche, für gerechte Verhältnisse zu sorgen, führten irgendwann automatisch in den Totalitarismus. „Dies belegt die reale geschichtliche Entwicklung im Kommunismus, aber auch in neoliberalen Wirtschaftssystemen, wo das Geld zum Selbstzweck wird – da wird Gott durch das Gold ersetzt ...“ Weltweite Gerechtigkeit und wahrer Humanismus seien nur „im Lichte des Glaubens“ möglich.
An welchen Glauben er dabei denkt, erklärt Müller auch: „Gott ... hat uns zu einer Gemeinschaft gerufen, die viel tiefer greift als staatlich-politische Systeme, weltliche Zusammenschlüsse oder gesellschaftliche Vergemeinschaftungen: Wir gehören zur Kirche, die sein Leib ist und dessen Haupt er selber ist. ... Sind wir Glieder der Kirche, so brechen in der Erfahrung der Transzendenz alle Barrieren, die der Mensch errichtet hat, auf.“
Mit „die Kirche“ ist im Jargon der Glaubenskongregation stets die katholische Kirche gemeint. Müller sagt also im Wesentlichen: Der Welt ginge es besser, wenn alle katholisch würden. Umberto Ecos päpstliche Delegation wäre begeistert gewesen.
Müller und die Befreiungstheologie
Spätestens an dieser Stelle des Buches ist klar, dass von einem Präfekten der Glaubenskongregation keine Impulse für eine neutrale Entwicklungspolitik zu erwarten sind. Das gehört einfach nicht zu seiner Stellenbeschreibung.
Müller ist Dogmatiker. Sein Job ist es, zu erforschen, was Katholiken theoretisch zu glauben hätten. Mit Blick auf die Armut bedeutet das, dass er sich vor allem mit der sogenannten Befreiungstheologie auseinandersetzt, einer Schulrichtung aus Südamerika.
Entstanden ist sie in den Sechzigerjahren unter dem Eindruck menschlicher Not in Lateinamerika. Sie basiert auf einer dreiteiligen Methode, „Sehen – Urteilen – Handeln“: Erst wird die soziale Situation analysiert, erst dann folgt eine theologische Deutung, und schließlich werden praktische Konsequenzen gefordert. Eine Theologie, die das Leben der Menschen besser machen soll. Rom war wenig begeistert.
„Gefahren der Abweichungen“
Darf man sich anmaßen, die Welt zu einem gerechteren Ort machen zu wollen? Ist das nicht Gottes Aufgabe? Droht die Kirche sich auf Politik, also auf weltliche Dinge zu beschränken? Besonders nervös wurde der Vatikan, als Befreiungstheologen anfingen, Marx zu lesen.
1984 reagierte die Glaubenskongregation mit einem Dokument über die „Abweichungen und die Gefahren der Abweichungen“ der Befreiungstheologie. Präfekt damals: Joseph Ratzinger. Später wurden Ausbildungsstätten geschlossen, Lehrbefugnisse entzogen, pastorale Projekte gestoppt. Als mit Jorge Mario Bergoglio ausgerechnet ein Argentinier zum Papst gewählt wurde, kam sofort die Frage auf: Was bedeutet das für die Befreiungstheologen?
Christentum bezieht sich nicht nur aufs Jenseits
Kardinal Müller liefert jetzt die Antwort. Die Zeichen stehen auf Entspannung. Müller gibt sich als Anhänger befreiungstheologischer Ansätze zu erkennen. Er kennt sie aus erster Hand. In seiner Zeit als Münchner Theologieprofessor reiste er jahrelang in den Semesterferien nach Südamerika, diskutierte dort mit Theologen, besuchte Dorfgemeinden.
„Die Befreiungstheologie wird ... nicht tot sein, solange sich Menschen von dem befreienden Handeln Gottes anstiften lassen und die Solidarität mit den leidenden Mitmenschen, deren Würde in den Dreck gezogen wird, zum Maß ihres Glaubens und zur Triebfeder ihres gesellschaftlichen Handelns machen.“
Christentum heiße nicht, sich nur aufs Jenseits zu freuen. Auch im Diesseits habe Gott bereits angefangen, sein Reich zu errichten, und die Gläubigen seien dazu berufen, daran mitzubauen. „Christlicher Glaube bedeutet, verstehend und handelnd in dem Veränderungsprozess der Geschichte teilzunehmen, den Gott im Heilshandeln Jesu Christi endgültig als Bewegung auf ihn hin eröffnet hat.“
Als Vorbild sieht Müller die christliche Urgemeinde, von der es in der Bibel heißt, sie seien alle „ein Herz und eine Seele“ gewesen. So weit, so gut. Papst Franziskus hat in seinem ersten Apostolischen Lehrschreiben „Evangelii gaudium“ ja auch schon festgehalten, dass sich niemand „von der Sorge um die Armen und um die soziale Gerechtigkeit freigestellt fühlen“ dürfe. Aber, so fügte Franziskus hinzu, „ich fürchte, dass auch diese Worte nur Gegenstand von Kommentaren ohne praktische Auswirkungen sein werden.“
Kardinal Gerhard Ludwig Müller: „Armut.
Die Herausforderung für den Glauben.
Mit einem Geleitwort von Papst Franziskus“,
Kösel, 176 Seiten, 17,99 Euro.
https://www.welt.de/kultur/literarischew...che-Kirche.html
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