Mittwoch der 28. Woche im Jahreskreis
Kommentar zum heutigen Evangelium
Sel. John Henry Newman (1801-1890), Theologe und Kardinal, Gründer eines Oratorium in England
Predigt „Zeremonien der Kirche“; PPS, Bd. 2, Nr. 7
Die Tradition und der Wille Gottes
Es spielt keine Rolle, auf welche Weise wir den Willen Gottes erkennen, ob durch die Heilige Schrift, die apostolische Tradition oder durch das, was der hl. Paulus „Werke der Schöpfung“ nennt (vgl. Röm 1,20) – sofern wir uns sicher sind, dass es sein Wille ist. In Wahrheit offenbart uns Gott den Glaubensinhalt durch Inspiration, weil es sich dabei um die übernatürliche Ordnung handelt. Die praktischen Fragen im moralischen Pflichtenbereich offenbart er uns durch unser Gewissen und unsere gottgesteuerte Vernunft.
Die reinen Formfragen offenbart er uns durch die Tradition der Kirche, durch die Art, wie wir sie normalerweise handhaben, obwohl sie nicht aus der Schrift hervorgehen. Das alles, um die Frage zu beantworten, die wir uns selber stellen können: „Warum halten wir uns denn an Riten und Formen, die die Schrift nicht vorschreibt?“ Die Schrift überliefert uns, was wir glauben müssen, wonach wir uns ausstrecken müssen, was wir festhalten müssen. Sie sagt aber nichts Konkretes aus über das Wie. Da wir das eben nur auf diese oder jene Weise tun können, sind wir sehr wohl dazu genötigt, dem, was die Schrift sagt, etwas hinzuzufügen. Sie rät uns zum Beispiel, dass wir uns zum Gebet versammeln sollen und bindet dessen Wirksamkeit an die Einheit der Herzen. Da die Schrift aber weder auf den Zeitpunkt noch den Ort des Gebetes hinweist, muss die Kirche das vervollständigen, worauf die Schrift nur ganz allgemein hinweist…
Man kann sagen, dass uns die Bibel den Geist unseres Glaubens vermittelt, die Kirche aber den Leib ausbilden muss, in dem dieser Geist Fleisch wird… Religion gibt es nicht in abstrakter Form… Die Menschen, die Gott (wie sie sagen) „auf rein geistige“ Art anzubeten versuchen, beten ihn schließlich doch gar nicht mehr an… Die Schrift gibt uns also den Geist unserer Frömmigkeit, die Kirche derer äußere Gestalt. Und so wie wir den Geist eines Menschen nicht ohne seinen Leib wahrnehmen können, so können wir den Gegenstand unseres Glaubens nicht ohne seine äußere Gestaltung verstehen.