Papst Benedikt XVI.
Christus ist das Neue
Wann hielt Jesus sein Abendmahl?
Die Frage bestimmt unsere Deutung des Ereignisses.
Von Papst Benedikt XVI.
Das Problem der Datierung von Jesu Letztem Mahl beruht auf dem Widerspruch in dieser Frage zwischen den synoptischen Evangelien einerseits und dem Johannes-Evangelium andererseits. Markus, dem Matthäus und Lukas im Wesentlichen folgen, gibt dazu eine präzise Datierung: »Am ersten Tag des Festes der Ungesäuerten Brote, an dem man das Pascha-Lamm schlachtete, sagten die Jünger zu Jesus: Wo sollen wir das Pascha-Mahl für dich vorbereiten? ... Als es Abend wurde, kam Jesus mit den Zwölf« (Mk 14,12.17). Der Abend des ersten Tags der Ungesäuerten Brote, an dem im Tempel die Pascha-Lämmer geschlachtet werden, ist die Vigil des Pascha-Festes. Nach der Chronologie der Synoptiker ist dies ein Donnerstag.
Nach Sonnenuntergang begann das Pascha-Fest, und zu dieser Zeit wurde das Pascha-Mahl eingenommen – von Jesus mit seinen Jüngern ebenso wie von allen nach Jerusalem gekommenen Pilgern. In der Nacht zum Freitag wurde dann – immer gemäß der synoptischen Chronologie – Jesus verhaftet und vor Gericht gestellt, am Morgen des Freitag durch Pilatus zum Tod verurteilt und anschließend »um die dritte Stunde« (ca. 9 Uhr) ans Kreuz gebracht. Der Tod Jesu ist auf die neunte Stunde (ca. 15 Uhr) datiert. »Da es Rüsttag war, der Tag vor dem Sabbat, und es schon Abend wurde, ging Josef von Arimathäa ... zu Pilatus und wagte es, um den Leichnam Jesu zu bitten« (Mk 15,42f). Das Begräbnis musste noch vor Sonnenuntergang erfolgen, weil dann der Sabbat begann. Der Sabbat ist der Tag der Grabesruhe Jesu. Die Auferstehung ereignet sich am Morgen des »ersten Tages der Woche«, am Sonntag.
Diese Chronologie ist mit dem Problem belastet, dass Prozess und Kreuzigung Jesu am Pascha-Fest stattgefunden hätten, das in jenem Jahr auf einen Freitag fiel. Zwar haben viele Gelehrte zu zeigen versucht, dass Prozess und Kreuzigung mit den Vorschriften des Pascha-Festes vereinbar gewesen seien. Aber trotz aller Gelehrsamkeit erscheint es fragwürdig, dass an diesem für die Juden hohen Fest der Prozess vor Pilatus und die Kreuzigung statthaft und möglich gewesen seien. Überdies steht dem auch eine Notiz bei Markus im Weg. Er sagt uns, dass zwei Tage vor dem Fest der Ungesäuerten Brote die Hohepriester und die Schriftgelehrten nach einer Möglichkeit suchten, Jesus mit List in ihre Gewalt zu bringen und zu töten, dabei aber erklärten: »Ja nicht am Fest, damit es im Volk keinen Aufruhr gibt« (14,1f). Nach der synoptischen Chronologie wäre aber in der Tat gerade am Fest selbst die Hinrichtung Jesu erfolgt.
Wenden wir uns nun der johanneischen Chronologie zu. Johannes achtet sorgfältig darauf, das Letzte Mahl Jesu nicht als Pascha darzustellen. Im Gegenteil: Die jüdischen Autoritäten, die Jesus vor das Gericht des Pilatus stellen, vermeiden es, das Prätorium zu betreten, »um nicht unrein zu werden, sondern das Pascha-Lamm essen zu können« (18,28). Pascha beginnt also erst am Abend, das Pascha-Mahl steht beim Prozess noch bevor; Prozess und Kreuzigung finden am Vortag des Pascha, am »Rüsttag«, statt, nicht am Fest selbst. Das Pascha-Fest erstreckt sich demnach in dem fraglichen Jahr von Freitagabend bis Samstagabend, nicht von Donnerstagabend bis Freitagabend.
Im Übrigen bleibt die Abfolge der Ereignisse gleich. Donnerstagabend: Letztes Mahl Jesu mit den Jüngern, das aber kein Pascha ist; Freitag – Vortag des Festes, nicht Fest –: Prozess und Hinrichtung; Samstag: Grabesruhe; Sonntag: Auferstehung. Bei dieser Chronologie stirbt Jesus zu der Zeit, zu der im Tempel die Pascha-Lämmer geschlachtet werden. Er stirbt als das wirkliche, in den Lämmern nur vorgeahnte Lamm.
Auszug aus: http://www.zeit.de/2011/10/Papstbuch-Abendmahl